Gustav Aschenbach oder von Aschenbach, wie seit seinem fünfzigsten Geburtstag amtlich sein Name lautete, hatte an einem Frühlingsnachmittag des Jahres 19.., das unserem Kontinent monatelang eine so gefahrdrohende Miene zeigte, von seiner Wohnung in der Prinz-Regentenstra?e zu München aus, allein einen weiteren Spaziergang unternommen. ?berreizt von der schwierigen und gef?hrlichen, eben jetzt eine h?chste Behutsamkeit, Umsicht, Eindringlichkeit und Genauigkeit des Willens erfordernden Arbeit der Vormittagsstunden, hatte der Schriftsteller dem Fortschwingen des produzierenden Triebwerks in seinem Innern, jenem ?motus animi continuus?, worin nach Cicero das Wesen der Beredsamkeit besteht, auch nach der Mittagsmahlzeit nicht Einhalt zu tun vermocht und den entlastenden Schlummer nicht gefunden, der ihm, bei zunehmender Abnutzbarkeit seiner Kr?fte, einmal untertags so n?tig war. So hatte er bald nach dem Tee das Freie gesucht, in der Hoffnung, da? Luft und Bewegung ihn wieder herstellen und ihm zu einem ersprie?lichen Abend verhelfen würden.
Es war Anfang Mai und, nach na?kalten Wochen, ein falscher Hochsommer eingefallen. Der Englische Garten, obgleich nur erst zart belaubt, war dumpfig wie im August und in der N?he der Stadt voller Wagen und Spazierg?nger gewesen. Beim Aumeister, wohin stillere und stillere Wege ihn geführt, hatte Aschenbach eine kleine Weile den volkstümlich belebten Wirtsgarten überblickt, an dessen Rande einige Droschken und Equipagen hielten, hatte von dort bei sinkender Sonne seinen Heimweg au?erhalb des Parks über die offene Flur genommen und erwartete, da er sich müde fühlte und über F?hring Gewitter drohte, am N?rdlichen Friedhof die Tram, die ihn in gerader Linie zur Stadt zurückbringen sollte. Zuf?llig fand er den Halteplatz und seine Umgebung von Menschen leer. Weder auf der gepflasterten Ungererstra?e, deren Schienengeleise sich einsam glei?end gegen Schwabing erstreckten, noch auf der F?hringer Chaussee war ein Fuhrwerk zu sehen; hinter den Z?unen der Steinmetzereien, wo zu Kauf stehende Kreuze, Ged?chtnistafeln und Monumente ein zweites, unbehaustes Gr?berfeld bilden, regte sich nichts, und das byzantinische Bauwerk der Aussegnungshalle gegenüber lag schweigend im Abglanz des scheidenden Tages. Ihre Stirnseite, mit griechischen Kreuzen und hieratischen Schildereien in lichten Farben geschmückt, weist überdies symmetrisch angeordnete Inschriften in Goldlettern auf, ausgew?hlte, das jenseitige Leben betreffende Schriftworte wie etwa: ?Sie gehen ein in die Wohnung Gottes? oder: ?Das ewige Licht leuchte ihnen?; und der Wartende hatte w?hrend einiger Minuten eine ernste Zerstreuung darin gefunden, die Formeln abzulesen und sein geistiges Auge in ihrer durchscheinenden Mystik sich verlieren zu lassen, als er, aus seinen Tr?umereien zurückkehrend, im Portikus, oberhalb der beiden apokalyptischen Tiere, welche die Freitreppe bewachen, einen Mann bemerkte, dessen nicht ganz gew?hnliche Erscheinung seinen Gedanken eine v?llig andere Richtung gab.
Ob er nun aus dem Innern der Halle durch das bronzene Tor hervorgetreten oder von au?en unversehens heran und hinauf gelangt war, blieb ungewi?. Aschenbach, ohne sich sonderlich in die Frage zu vertiefen, neigte zur ersteren Annahme. M??ig hochgewachsen, mager, bartlos und auffallend stumpfn?sig, geh?rte der Mann zum rothaarigen Typ und besa? dessen milchige und sommersprossige Haut. Offenbar war er durchaus nicht bajuwarischen Schlages: wie denn wenigstens der breit und gerade gerandete Basthut, der ihm den Kopf bedeckte, seinem Aussehen ein Gepr?ge des Fremdl?ndischen und Weitherkommenden verlieh. Freilich trug er dazu den landesüblichen Rucksack um die Schultern geschnallt, einen gelblichen Gurtanzug aus Lodenstoff, wie es schien, einen grauen Wetterkragen über dem linken Unterarm, den er in die Weiche gestützt hielt, und in der Rechten einen mit eiserner Spitze versehenen Stock, welchen er schr?g gegen den Boden stemmte und auf dessen Krücke er, bei gekreuzten Fü?en, die Hüfte lehnte. Erhobenen Hauptes, so da? an seinem hager dem losen Sporthemd entwachsenden Halse der Adamsapfel stark und nackt hervortrat, blickte er mit farblosen, rot bewimperten Augen, zwischen denen, sonderbar genug zu seiner kurz aufgeworfenen Nase passend, zwei senkrechte, energische Furchen standen, scharf sp?hend ins Weite. So--und vielleicht trug sein erh?hter und erh?hender Standort zu diesem Eindruck bei--hatte seine Haltung etwas herrisch ?berschauendes, Kühnes oder selbst Wildes; denn sei es, da? er, geblendet, gegen die untergehende Sonne grimassierte oder da? es sich um eine dauernde physiognomische Entstellung handelte: seine Lippen schienen zu kurz, sie waren v?llig von den Z?hnen zurückgezogen, dergestalt, da? diese, bis zum Zahnfleisch blo?gelegt, wei? und lang dazwischen hervorbleckten.
Wohl m?glich, da? Aschenbach es bei seiner halb zerstreuten, halb inquisitiven Musterung des Fremden an Rücksicht hatte fehlen lassen; denn pl?tzlich ward er gewahr, da? jener seinen Blick erwiderte und zwar so kriegerisch, so gerade ins Auge hinein, so offenkundig gesonnen, die Sache aufs ?u?erste zu treiben und den Blick des andern zum Abzug zu zwingen, da? Aschenbach, peinlich berührt, sich abwandte und einen Gang die Z?une entlang begann, mit dem beil?ufigen Entschlu?, des Menschen nicht weiter achtzuhaben. Er hatte ihn in der n?chsten Minute vergessen. Mochte nun aber das Wandererhafte in der Erscheinung des Fremden auf seine Einbildungskraft gewirkt haben oder sonst irgendein physischer oder seelischer Einflu? im Spiele sein: eine seltsame Ausweitung seines Innern ward ihm ganz überraschend bewu?t, eine Art schweifender Unruhe, ein jugendlich durstiges Verlangen in die Ferne, ein Gefühl, so lebhaft, so neu oder doch so l?ngst entw?hnt und verlernt, da? er, die H?nde auf dem Rücken und den Blick am Boden, gefesselt stehen blieb, um die Empfindung auf Wesen und Ziel zu prüfen. Es war Reiselust, nichts weiter; aber wahrhaft als Anfall auftretend und ins Leidenschaftliche, ja bis zur Sinnest?uschung gesteigert. Er sah n?mlich, als Beispiel gleichsam für alle Wunder und Schrecken der mannigfaltigen Erde, die seine Begierde sich auf einmal vorzustellen trachtete,--sah wie mit leiblichem Auge eine ungeheuere Landschaft, ein tropisches Sumpfgebiet unter dickdunstigem Himmel, feucht, üppig und ungesund, eine von Menschen gemiedene Urweltwildnis aus Inseln, Mor?sten und Schlamm führenden Wasserarmen. Die flachen Eilande, deren Boden mit Bl?ttern, so dick wie H?nde, mit riesigen Farnen, mit fettem, gequollenem und abenteuerlich blühendem Pflanzenwerk überwuchert war, sandten haarige Palmensch?fte empor, und wunderlich ungestalte B?ume, deren Wurzeln dem Stamm entwuchsen und sich durch die Luft in den Boden, ins Wasser senkten, bildeten verworrene Waldungen. Auf der stockenden, grünschattig spiegelnden Flut schwammen, wie Schüsseln gro?, milchwei?e Blumen; V?gel von fremder Art, hochschultrig, mit unf?rmigen Schn?beln, standen auf hohen Beinen im Seichten und blickten unbeweglich zur Seite, w?hrend durch ausgedehnte Schilffelder ein klapperndes Wetzen und Rauschen ging, wie durch Heere von Geharnischten; dem Schauenden war es, als hauchte der laue, mephitische Odem dieser geilen und untauglichen ?de ihn an, die in einem ungeheuerlichen Zustande von Werden oder Vergehen zu schweben schien, zwischen den knotigen Rohrst?mmen eines Bambusdickichts glaubte er einen Augenblick die phosphoreszierenden Lichter des Tigers funkeln zu sehen--und fühlte sein Herz pochen vor Entsetzen und r?tselhaftem Verlangen. Dann wich das Gesicht; und mit einem Kopfschütteln nahm Aschenbach seine Promenade an den Z?unen der Grabsteinmetzereien wieder auf.
Er hatte, zum mindesten seit ihm die Mittel zu Gebote gewesen w?ren, die Vorteile des Weltverkehrs beliebig zu genie?en, das Reisen nicht anders denn als eine hygienische Ma?regel betrachtet, die gegen Sinn und Neigung dann und wann hatte getroffen werden müssen. Zu besch?ftigt mit den Aufgaben, welche sein Ich und die europ?ische Seele ihm stellten, zu belastet von der Verpflichtung zur Produktion, der Zerstreuung zu abgeneigt, um zum Liebhaber der bunten Au?enwelt zu taugen, hatte er sich durchaus mit der Anschauung begnügt, die heute jedermann, ohne sich weit aus seinem Kreise zu rühren, von der Oberfl?che der Erde gewinnen kann, und war niemals auch nur versucht gewesen, Europa zu verlassen. Zumal seit sein Leben sich langsam neigte, seit seine Künstlerfurcht, nicht fertig zu werden,--diese Besorgnis, die Uhr m?chte abgelaufen sein, bevor er das Seine getan und v?llig sich selbst gegeben, nicht mehr als blo?e Grille von der Hand zu weisen war, hatte sein ?u?eres Dasein sich fast ausschlie?lich auf die sch?ne Stadt, die ihm zur Heimat geworden, und auf den rauhen Landsitz beschr?nkt, den er sich im Gebirge errichtet und wo er die regnerischen Sommer verbrachte.
Auch wurde denn, was ihn da eben so sp?t und pl?tzlich angewandelt, sehr bald durch Vernunft und von jung auf geübte Selbstzucht gem??igt und richtig gestellt. Er hatte beabsichtigt, das Werk, für welches er lebte, bis zu einem gewissen Punkte zu f?rdern, bevor er aufs Land übersiedelte, und der Gedanke einer Weltbummelei, die ihn auf Monate seiner Arbeit entführen würde, schien allzu locker und planwidrig, er durfte nicht ernstlich in Frage kommen. Und doch wu?te er nur zu wohl, aus welchem Grunde die Anfechtung so unversehens hervorgegangen war. Fluchtdrang war sie, da? er es sich eingestand, diese Sehnsucht ins Ferne und Neue, diese Begierde nach Befreiung, Entbürdung und Vergessen,--der Drang hinweg vom Werke, von der Alltagsst?tte eines starren, kalten und leidenschaftlichen Dienstes. Zwar liebte er ihn und liebte auch fast schon den entnervenden, sich t?glich erneuernden Kampf zwischen seinem z?hen und stolzen, so oft erprobten Willen und dieser wachsenden Müdigkeit, von der niemand wissen und die das Produkt auf keine Weise, durch kein Anzeichen des Versagens und der La?heit verraten durfte. Aber verst?ndig schien es, den Bogen nicht zu überspannen und ein so lebhaft ausbrechendes Bedürfnis nicht eigensinnig zu ersticken. Er dachte an seine Arbeit, dachte an die Stelle, an der er sie auch heute wieder, wie gestern schon, hatte verlassen müssen und die weder geduldiger Pflege noch einem raschen Handstreich sich fügen zu wollen schien. Er prüfte sie aufs neue, versuchte die Hemmung zu durchbrechen oder aufzul?sen und lie? mit einem Schauder des Widerwillens vom Angriff ab. Hier bot sich keine au?erordentliche Schwierigkeit, sondern was ihn l?hmte, waren die Skrupeln der Unlust, die sich als eine durch nichts mehr zu befriedigende Ungenügsamkeit darstellte. Ungenügsamkeit freilich hatte schon dem Jüngling als Wesen und innerste Natur des Talentes gegolten, und um ihretwillen hatte er das Gefühl gezügelt und erk?ltet, weil er wu?te, da? es geneigt ist, sich mit einem fr?hlichen Ungef?hr und mit einer halben Vollkommenheit zu begnügen. R?chte sich nun also die geknechtete Empfindung, indem sie ihn verlie?, indem sie seine Kunst fürder zu tragen und zu beflügeln sich weigerte und alle Lust, alles Entzücken an der Form und am Ausdruck mit sich hinwegnahm? Nicht, da? er Schlechtes herstellte: Dies wenigstens war der Vorteil seiner Jahre, da? er sich seiner Meisterschaft jeden Augenblick in Gelassenheit sicher fühlte. Aber er selbst, w?hrend die Nation sie ehrte, er ward ihrer nicht froh, und es schien ihm, als ermangle sein Werk jener Merkmale feurig spielender Laune, die, ein Erzeugnis der Freude, mehr als irgend ein innerer Gehalt, ein gewichtigerer Vorzug, die Freude der genie?enden Welt bildeten. Er fürchtete sich vor dem Sommer auf dem Lande, allein in dem kleinen Hause mit der Magd, die ihm das Essen bereitete, und dem Diener, der es ihm auftrug; fürchtete sich vor den vertrauten Angesichten der Berggipfel und-w?nde, die wiederum seine unzufriedene Langsamkeit umstehen würden. Und so tat denn eine Einschaltung not, etwas Stegreifdasein, Tagdieberei, Fernluft und Zufuhr neuen Blutes, damit der Sommer ertr?glich und ergiebig werde. Reisen also,--er war es zufrieden. Nicht gar weit, nicht gerade bis zu den Tigern. Eine Nacht im Schlafwagen und eine Siesta von drei, vier Wochen an irgend einem Allerweltsferienplatze im liebenswürdigen Süden...
So dachte er, w?hrend der L?rm der elektrischen Tram die Ungererstra?e daher sich n?herte, und einsteigend beschlo? er, diesen Abend dem Studium von Karte und Kursbuch zu widmen. Auf der Plattform fiel ihm ein, nach dem Manne im Basthut, dem Genossen dieses immerhin folgereichen Aufenthaltes, Umschau zu halten. Doch wurde ihm dessen Verbleib nicht deutlich, da er weder an seinem vorherigen Standort, noch auf dem weiteren Halteplatz, noch auch im Wagen ausfindig zu machen war.
Es war Anfang Mai und, nach na?kalten Wochen, ein falscher Hochsommer eingefallen. Der Englische Garten, obgleich nur erst zart belaubt, war dumpfig wie im August und in der N?he der Stadt voller Wagen und Spazierg?nger gewesen. Beim Aumeister, wohin stillere und stillere Wege ihn geführt, hatte Aschenbach eine kleine Weile den volkstümlich belebten Wirtsgarten überblickt, an dessen Rande einige Droschken und Equipagen hielten, hatte von dort bei sinkender Sonne seinen Heimweg au?erhalb des Parks über die offene Flur genommen und erwartete, da er sich müde fühlte und über F?hring Gewitter drohte, am N?rdlichen Friedhof die Tram, die ihn in gerader Linie zur Stadt zurückbringen sollte. Zuf?llig fand er den Halteplatz und seine Umgebung von Menschen leer. Weder auf der gepflasterten Ungererstra?e, deren Schienengeleise sich einsam glei?end gegen Schwabing erstreckten, noch auf der F?hringer Chaussee war ein Fuhrwerk zu sehen; hinter den Z?unen der Steinmetzereien, wo zu Kauf stehende Kreuze, Ged?chtnistafeln und Monumente ein zweites, unbehaustes Gr?berfeld bilden, regte sich nichts, und das byzantinische Bauwerk der Aussegnungshalle gegenüber lag schweigend im Abglanz des scheidenden Tages. Ihre Stirnseite, mit griechischen Kreuzen und hieratischen Schildereien in lichten Farben geschmückt, weist überdies symmetrisch angeordnete Inschriften in Goldlettern auf, ausgew?hlte, das jenseitige Leben betreffende Schriftworte wie etwa: ?Sie gehen ein in die Wohnung Gottes? oder: ?Das ewige Licht leuchte ihnen?; und der Wartende hatte w?hrend einiger Minuten eine ernste Zerstreuung darin gefunden, die Formeln abzulesen und sein geistiges Auge in ihrer durchscheinenden Mystik sich verlieren zu lassen, als er, aus seinen Tr?umereien zurückkehrend, im Portikus, oberhalb der beiden apokalyptischen Tiere, welche die Freitreppe bewachen, einen Mann bemerkte, dessen nicht ganz gew?hnliche Erscheinung seinen Gedanken eine v?llig andere Richtung gab.
Ob er nun aus dem Innern der Halle durch das bronzene Tor hervorgetreten oder von au?en unversehens heran und hinauf gelangt war, blieb ungewi?. Aschenbach, ohne sich sonderlich in die Frage zu vertiefen, neigte zur ersteren Annahme. M??ig hochgewachsen, mager, bartlos und auffallend stumpfn?sig, geh?rte der Mann zum rothaarigen Typ und besa? dessen milchige und sommersprossige Haut. Offenbar war er durchaus nicht bajuwarischen Schlages: wie denn wenigstens der breit und gerade gerandete Basthut, der ihm den Kopf bedeckte, seinem Aussehen ein Gepr?ge des Fremdl?ndischen und Weitherkommenden verlieh. Freilich trug er dazu den landesüblichen Rucksack um die Schultern geschnallt, einen gelblichen Gurtanzug aus Lodenstoff, wie es schien, einen grauen Wetterkragen über dem linken Unterarm, den er in die Weiche gestützt hielt, und in der Rechten einen mit eiserner Spitze versehenen Stock, welchen er schr?g gegen den Boden stemmte und auf dessen Krücke er, bei gekreuzten Fü?en, die Hüfte lehnte. Erhobenen Hauptes, so da? an seinem hager dem losen Sporthemd entwachsenden Halse der Adamsapfel stark und nackt hervortrat, blickte er mit farblosen, rot bewimperten Augen, zwischen denen, sonderbar genug zu seiner kurz aufgeworfenen Nase passend, zwei senkrechte, energische Furchen standen, scharf sp?hend ins Weite. So--und vielleicht trug sein erh?hter und erh?hender Standort zu diesem Eindruck bei--hatte seine Haltung etwas herrisch ?berschauendes, Kühnes oder selbst Wildes; denn sei es, da? er, geblendet, gegen die untergehende Sonne grimassierte oder da? es sich um eine dauernde physiognomische Entstellung handelte: seine Lippen schienen zu kurz, sie waren v?llig von den Z?hnen zurückgezogen, dergestalt, da? diese, bis zum Zahnfleisch blo?gelegt, wei? und lang dazwischen hervorbleckten.
Wohl m?glich, da? Aschenbach es bei seiner halb zerstreuten, halb inquisitiven Musterung des Fremden an Rücksicht hatte fehlen lassen; denn pl?tzlich ward er gewahr, da? jener seinen Blick erwiderte und zwar so kriegerisch, so gerade ins Auge hinein, so offenkundig gesonnen, die Sache aufs ?u?erste zu treiben und den Blick des andern zum Abzug zu zwingen, da? Aschenbach, peinlich berührt, sich abwandte und einen Gang die Z?une entlang begann, mit dem beil?ufigen Entschlu?, des Menschen nicht weiter achtzuhaben. Er hatte ihn in der n?chsten Minute vergessen. Mochte nun aber das Wandererhafte in der Erscheinung des Fremden auf seine Einbildungskraft gewirkt haben oder sonst irgendein physischer oder seelischer Einflu? im Spiele sein: eine seltsame Ausweitung seines Innern ward ihm ganz überraschend bewu?t, eine Art schweifender Unruhe, ein jugendlich durstiges Verlangen in die Ferne, ein Gefühl, so lebhaft, so neu oder doch so l?ngst entw?hnt und verlernt, da? er, die H?nde auf dem Rücken und den Blick am Boden, gefesselt stehen blieb, um die Empfindung auf Wesen und Ziel zu prüfen. Es war Reiselust, nichts weiter; aber wahrhaft als Anfall auftretend und ins Leidenschaftliche, ja bis zur Sinnest?uschung gesteigert. Er sah n?mlich, als Beispiel gleichsam für alle Wunder und Schrecken der mannigfaltigen Erde, die seine Begierde sich auf einmal vorzustellen trachtete,--sah wie mit leiblichem Auge eine ungeheuere Landschaft, ein tropisches Sumpfgebiet unter dickdunstigem Himmel, feucht, üppig und ungesund, eine von Menschen gemiedene Urweltwildnis aus Inseln, Mor?sten und Schlamm führenden Wasserarmen. Die flachen Eilande, deren Boden mit Bl?ttern, so dick wie H?nde, mit riesigen Farnen, mit fettem, gequollenem und abenteuerlich blühendem Pflanzenwerk überwuchert war, sandten haarige Palmensch?fte empor, und wunderlich ungestalte B?ume, deren Wurzeln dem Stamm entwuchsen und sich durch die Luft in den Boden, ins Wasser senkten, bildeten verworrene Waldungen. Auf der stockenden, grünschattig spiegelnden Flut schwammen, wie Schüsseln gro?, milchwei?e Blumen; V?gel von fremder Art, hochschultrig, mit unf?rmigen Schn?beln, standen auf hohen Beinen im Seichten und blickten unbeweglich zur Seite, w?hrend durch ausgedehnte Schilffelder ein klapperndes Wetzen und Rauschen ging, wie durch Heere von Geharnischten; dem Schauenden war es, als hauchte der laue, mephitische Odem dieser geilen und untauglichen ?de ihn an, die in einem ungeheuerlichen Zustande von Werden oder Vergehen zu schweben schien, zwischen den knotigen Rohrst?mmen eines Bambusdickichts glaubte er einen Augenblick die phosphoreszierenden Lichter des Tigers funkeln zu sehen--und fühlte sein Herz pochen vor Entsetzen und r?tselhaftem Verlangen. Dann wich das Gesicht; und mit einem Kopfschütteln nahm Aschenbach seine Promenade an den Z?unen der Grabsteinmetzereien wieder auf.
Er hatte, zum mindesten seit ihm die Mittel zu Gebote gewesen w?ren, die Vorteile des Weltverkehrs beliebig zu genie?en, das Reisen nicht anders denn als eine hygienische Ma?regel betrachtet, die gegen Sinn und Neigung dann und wann hatte getroffen werden müssen. Zu besch?ftigt mit den Aufgaben, welche sein Ich und die europ?ische Seele ihm stellten, zu belastet von der Verpflichtung zur Produktion, der Zerstreuung zu abgeneigt, um zum Liebhaber der bunten Au?enwelt zu taugen, hatte er sich durchaus mit der Anschauung begnügt, die heute jedermann, ohne sich weit aus seinem Kreise zu rühren, von der Oberfl?che der Erde gewinnen kann, und war niemals auch nur versucht gewesen, Europa zu verlassen. Zumal seit sein Leben sich langsam neigte, seit seine Künstlerfurcht, nicht fertig zu werden,--diese Besorgnis, die Uhr m?chte abgelaufen sein, bevor er das Seine getan und v?llig sich selbst gegeben, nicht mehr als blo?e Grille von der Hand zu weisen war, hatte sein ?u?eres Dasein sich fast ausschlie?lich auf die sch?ne Stadt, die ihm zur Heimat geworden, und auf den rauhen Landsitz beschr?nkt, den er sich im Gebirge errichtet und wo er die regnerischen Sommer verbrachte.
Auch wurde denn, was ihn da eben so sp?t und pl?tzlich angewandelt, sehr bald durch Vernunft und von jung auf geübte Selbstzucht gem??igt und richtig gestellt. Er hatte beabsichtigt, das Werk, für welches er lebte, bis zu einem gewissen Punkte zu f?rdern, bevor er aufs Land übersiedelte, und der Gedanke einer Weltbummelei, die ihn auf Monate seiner Arbeit entführen würde, schien allzu locker und planwidrig, er durfte nicht ernstlich in Frage kommen. Und doch wu?te er nur zu wohl, aus welchem Grunde die Anfechtung so unversehens hervorgegangen war. Fluchtdrang war sie, da? er es sich eingestand, diese Sehnsucht ins Ferne und Neue, diese Begierde nach Befreiung, Entbürdung und Vergessen,--der Drang hinweg vom Werke, von der Alltagsst?tte eines starren, kalten und leidenschaftlichen Dienstes. Zwar liebte er ihn und liebte auch fast schon den entnervenden, sich t?glich erneuernden Kampf zwischen seinem z?hen und stolzen, so oft erprobten Willen und dieser wachsenden Müdigkeit, von der niemand wissen und die das Produkt auf keine Weise, durch kein Anzeichen des Versagens und der La?heit verraten durfte. Aber verst?ndig schien es, den Bogen nicht zu überspannen und ein so lebhaft ausbrechendes Bedürfnis nicht eigensinnig zu ersticken. Er dachte an seine Arbeit, dachte an die Stelle, an der er sie auch heute wieder, wie gestern schon, hatte verlassen müssen und die weder geduldiger Pflege noch einem raschen Handstreich sich fügen zu wollen schien. Er prüfte sie aufs neue, versuchte die Hemmung zu durchbrechen oder aufzul?sen und lie? mit einem Schauder des Widerwillens vom Angriff ab. Hier bot sich keine au?erordentliche Schwierigkeit, sondern was ihn l?hmte, waren die Skrupeln der Unlust, die sich als eine durch nichts mehr zu befriedigende Ungenügsamkeit darstellte. Ungenügsamkeit freilich hatte schon dem Jüngling als Wesen und innerste Natur des Talentes gegolten, und um ihretwillen hatte er das Gefühl gezügelt und erk?ltet, weil er wu?te, da? es geneigt ist, sich mit einem fr?hlichen Ungef?hr und mit einer halben Vollkommenheit zu begnügen. R?chte sich nun also die geknechtete Empfindung, indem sie ihn verlie?, indem sie seine Kunst fürder zu tragen und zu beflügeln sich weigerte und alle Lust, alles Entzücken an der Form und am Ausdruck mit sich hinwegnahm? Nicht, da? er Schlechtes herstellte: Dies wenigstens war der Vorteil seiner Jahre, da? er sich seiner Meisterschaft jeden Augenblick in Gelassenheit sicher fühlte. Aber er selbst, w?hrend die Nation sie ehrte, er ward ihrer nicht froh, und es schien ihm, als ermangle sein Werk jener Merkmale feurig spielender Laune, die, ein Erzeugnis der Freude, mehr als irgend ein innerer Gehalt, ein gewichtigerer Vorzug, die Freude der genie?enden Welt bildeten. Er fürchtete sich vor dem Sommer auf dem Lande, allein in dem kleinen Hause mit der Magd, die ihm das Essen bereitete, und dem Diener, der es ihm auftrug; fürchtete sich vor den vertrauten Angesichten der Berggipfel und-w?nde, die wiederum seine unzufriedene Langsamkeit umstehen würden. Und so tat denn eine Einschaltung not, etwas Stegreifdasein, Tagdieberei, Fernluft und Zufuhr neuen Blutes, damit der Sommer ertr?glich und ergiebig werde. Reisen also,--er war es zufrieden. Nicht gar weit, nicht gerade bis zu den Tigern. Eine Nacht im Schlafwagen und eine Siesta von drei, vier Wochen an irgend einem Allerweltsferienplatze im liebenswürdigen Süden...
So dachte er, w?hrend der L?rm der elektrischen Tram die Ungererstra?e daher sich n?herte, und einsteigend beschlo? er, diesen Abend dem Studium von Karte und Kursbuch zu widmen. Auf der Plattform fiel ihm ein, nach dem Manne im Basthut, dem Genossen dieses immerhin folgereichen Aufenthaltes, Umschau zu halten. Doch wurde ihm dessen Verbleib nicht deutlich, da er weder an seinem vorherigen Standort, noch auf dem weiteren Halteplatz, noch auch im Wagen ausfindig zu machen war.
Der Autor der klaren und m?chtigen Prosa-Epop?e vom Leben Friedrichs von Preu?en; der geduldige Künstler, der in langem Flei? den figurenreichen, so vielerlei Menschenschicksal im Schatten einer Idee versammelnden Romanteppich, ?Maja? mit Namen, wob; der Sch?pfer jener starken Erz?hlung, die ?Ein Elender? überschrieben ist und einer ganzen dankbaren Jugend die M?glichkeit sittlicher Entschlossenheit jenseits der tiefsten Erkenntnis zeigte; der Verfasser endlich (und damit sind die Werke seiner Reifezeit kurz bezeichnet) der leidenschaftlichen Abhandlung über ?Geist und Kunst?, deren ordnende Kraft und antithetische Beredsamkeit ernste Beurteiler vermochte, sie unmittelbar neben Schillers Raisonnement über naive und sentimentalische Dichtung zu stellen: Gustav Aschenbach also war zu L., einer Kreisstadt der Provinz Schlesien, als Sohn eines h?heren Justizbeamten geboren. Seine Vorfahren waren Offiziere, Richter, Verwaltungsfunktion?re gewesen, M?nner, die im Dienste des K?nigs, des Staates, ihr straffes, anst?ndig karges Leben geführt hatten. Innigere Geistigkeit hatte sich einmal, in der Person eines Predigers, unter ihnen verk?rpert; rascheres, sinnlicheres Blut war der Familie in der vorigen Generation durch die Mutter des Dichters, Tochter eines b?hmischen Kapellmeisters, zugekommen. Von ihr stammten die Merkmale fremder Rasse in seinem ?u?ern. Die Verm?hlung dienstlich nüchterner Gewissenhaftigkeit mit dunkleren, feurigeren Impulsen lie? einen Künstler und diesen besonderen Künstler erstehen. Da sein ganzes Wesen auf Ruhm gestellt war, zeigte er sich, wenn nicht eigentlich früh reif, so doch, dank der Entschiedenheit und pers?nlichen Pr?gnanz seines Tonfalls früh für die ?ffentlichkeit reif und geschickt. Beinahe noch Gymnasiast, besa? er einen Namen. Zehn Jahre sp?ter hatte er gelernt, von seinem Schreibtische aus zu repr?sentieren, seinen Ruhm zu verwalten in einem Briefsatz, der kurz sein mu?te (denn viele Ansprüche dr?ngen auf den Erfolgreichen, den Vertrauenswürdigen ein), gütig und bedeutend zu sein. Der Vierziger hatte, ermattet von den Strapazen und Wechself?llen der eigentlichen Arbeit, allt?glich eine Post zu bew?ltigen, die Wertzeichen aus aller Herren L?ndern trug.
Ebensoweit entfernt vom Banalen wie vom Exzentrischen, war sein Talent geschaffen, den Glauben des breiten Publikums und die bewundernde, fordernde Teilnahme der W?hlerischen zugleich zu gewinnen. So, schon als Jüngling von allen Seiten auf die Leistung--und zwar die au?erordentliche--verpflichtet, hatte er niemals den Mü?iggang, niemals die Fahrl?ssigkeit der Jugend gekannt. Als er um sein fünfunddrei?igstes Jahr in Wien erkrankte, ?u?erte ein feiner Beobachter über ihn in Gesellschaft: ?Sehen Sie, Aschenbach hat von jeher nur so gelebt?--und der Sprecher schlo? die Finger seiner Linken fest zur Faust--; ?niemals so?--und er lie? die ge?ffnete Hand bequem von der Lehne des Sessels h?ngen. Das traf zu; und das Tapfer-Sittliche daran war, da? seine Natur von nichts weniger als robuster Verfassung und zur st?ndigen Anspannung nur berufen, nicht eigentlich geboren war.
?rztliche Fürsorge hatte den Knaben vom Schulbesuch ausgeschlossen und auf h?uslichen Unterricht gedrungen. Einzeln, ohne Kameradschaft war er aufgewachsen und hatte doch zeitig erkennen müssen, da? er einem Geschlecht angeh?rte, in dem nicht das Talent, wohl aber die physische Basis eine Seltenheit war, deren das Talent zu seiner Erfüllung bedarf,--einem Geschlechte, das früh sein Bestes zu geben pflegt und in dem das K?nnen es selten zu Jahren bringt. Aber sein Lieblingswort war ?Durchhalten?,--er sah in seinem Friedrich-Roman nichts anderes als die Apotheose dieses Befehlswortes, das ihm als der Inbegriffleitend-t?tiger Tugend erschien. Auch wünschte er sehnlichst, alt zu werden, denn er hatte von jeher dafür gehalten, da? wahrhaft gro?, umfassend, ja wahrhaft ehrenwert nur das Künstlertum zu nennen sei, dem es beschieden war, auf allen Stufen des Menschlichen charakteristisch fruchtbar zu sein.
Da er also die Aufgaben, mit denen sein Talent ihn belud, auf zarten Schultern tragen und weit gehen wollte, so bedurfte er h?chlich der Zucht,--und Zucht war ja zum Glücke sein eingeborenes Erbteil von v?terlicher Seite. Mit vierzig, mit fünfzig Jahren wie schon in einem Alter, wo andere verschwenden, schw?rmen, die Ausführung gro?er Pl?ne getrost verschieben, begann er seinen Tag beizeiten mit Stürzen kalten Wassers über Brust und Rücken und brachte dann, ein Paar hoher Wachskerzen in silbernen Leuchtern zu H?upten des Manuskripts, die Kr?fte, die er im Schlaf gesammelt, in zwei oder drei inbrünstig gewissenhaften Morgenstunden der Kunst zum Opfer dar. Es war verzeihlich, ja, es bedeutete recht eigentlich den Sieg seiner Moralit?t, wenn Unkundige die Maja-Welt oder die epischen Massen, in denen sich Friedrichs Heldenleben entrollte, für das Erzeugnis gedrungener Kraft und eines langen Atems hielten, w?hrend sie vielmehr in kleinen Tagewerken aus hundert Einzelinspirationen zur Gr??e emporgeschichtet und nur darum so durchaus und an jedem Punkte vortrefflich waren, weil ihr Sch?pfer mit einer Willensdauer und Z?higkeit, derjenigen ?hnlich, die seine Heimatprovinz eroberte, jahrelang unter der Spannung eines und desselben Werkes ausgehalten und an die eigentliche Herstellung ausschlie?lich seine st?rksten und würdigsten Stunden gewandt hatte.
Damit ein bedeutendes Geistesprodukt auf der Stelle eine breite und tiefe Wirkung zu üben verm?ge, mu? eine tiefe Verwandtschaft, ja ?bereinstimmung zwischen dem pers?nlichen Schicksal seines Urhebers und dem allgemeinen des mitlebenden Geschlechtes bestehen. Die Menschen wissen nicht, warum sie einem Kunstwerk Ruhm bereiten. Weit entfernt von Kennerschaft, glauben sie hundert Vorzüge daran zu entdecken, um so viel Teilnahme zu rechtfertigen; aber der eigentliche Grund ihres Beifalls ist ein Unw?gbares, ist Sympathie. Aschenbach hatte es einmal an wenig sichtbarer Stelle unmittelbar ausgesprochen, da? beinahe alles Gro?e, was dastehe, als ein Trotzdem dastehe, trotz Kummer und Qual, Armut, Verlassenheit, K?rperschw?che, Laster, Leidenschaft und tausend Hemmnissen zustande gekommen sei. Aber das war mehr als eine Bemerkung, es war eine Erfahrung, war geradezu die Formel seines Lebens und Ruhmes, der Schlüssel zu seinem Werk; und was Wunder also, wenn es auch der sittliche Charakter, die ?u?ere Geb?rde seiner eigentümlichsten Figuren war?
?ber den neuen, in mannigfach individuellen Erscheinungen wiederkehrenden Heldentyp, den dieser Schriftsteller bevorzugte, hatte schon frühzeitig ein kluger Zergliederer geschrieben: da? er die Konzeption ?einer intellektuellen und jünglinghaften M?nnlichkeit? sei, ?die in stolzer Scham die Z?hne aufeinanderbei?t und ruhig dasteht, w?hrend ihr die Schwerter und Speere durch den Leib gehen?. Das war sch?n, geistreich und exakt, trotz seiner scheinbar allzu passivischen Pr?gung. Denn Haltung im Schicksal, Anmut in der Qual bedeutet nicht nur ein Dulden; sie ist eine aktive Leistung, ein positiver Triumph, und die Sebastian-Gestalt ist das sch?nste Sinnbild, wenn nicht der Kunst überhaupt, so doch gewi? der in Rede stehenden Kunst. Blickte man hinein in diese erz?hlte Welt, sah man die elegante Selbstbeherrschung, die bis zum letzten Augenblick eine innere Unterh?hlung, den biologischen Verfall vor den Augen der Welt verbirgt; die gelbe, sinnlich benachteiligte H??lichkeit, die es vermag, ihre schwelende Brunst zur reinen Flamme zu entfachen, ja, sich zur Herrschaft im Reiche der Sch?nheit aufzuschwingen; die bleiche Ohnmacht, welche aus den glühenden Tiefen des Geistes die Kraft holt, ein ganzes übermütiges Volk zu Fü?en des Kreuzes, zu _ihren_ Fü?en niederzuwerfen; die liebenswürdige Haltung im leeren und strengen Dienste der Form; das falsche, gef?hrliche Leben, die rasch entnervende Sehnsucht und Kunst des gebornen Betrügers: betrachtete man all dies Schicksal und wieviel gleichartiges noch, so konnte man zweifeln, ob es überhaupt einen anderen Heroismus g?be, als denjenigen der Schw?che. Welches Heldentum aber jedenfalls w?re zeitgem??er als dieses? Gustav Aschenbach war der Dichter all derer, die am Rande der Ersch?pfung arbeiten, der ?berbürdeten, schon Aufgeriebenen, sich noch Aufrechthaltenden, all dieser Moralisten der Leistung, die, schm?chtig von Wuchs und spr?de von Mitteln, durch Willensverzückung und kluge Verwaltung sich wenigstens eine Zeitlang die Wirkungen der Gr??e abgewinnen. Ihrer sind viele, sie sind die Helden des Zeitalters. Und sie alle erkannten sich wieder in seinem Werk, sie fanden sich best?tigt, erhoben, besungen darin, sie wu?ten ihm Dank, sie verkündeten seinen Namen.
Er war jung und roh gewesen mit der Zeit und, schlecht beraten von ihr, war er ?ffentlich gestrauchelt, hatte Mi?griffe getan, sich blo?gestellt, Verst??e gegen Takt und Besonnenheit begangen in Wort und Werk. Aber er hatte die Würde gewonnen, nach welcher, wie er behauptete, jedem gro?en Talente ein natürlicher Drang und Stachel eingeboren ist, ja, man kann sagen, da? seine ganze Entwicklung ein bewu?ter und trotziger, alle Hemmungen des Zweifels und der Ironie zurücklassender Aufstieg zur Würde gewesen war.
Lebendige, geistig unverbindliche Greifbarkeit der Gestaltung bildet das Erg?tzen der bürgerlichen Massen, aber leidenschaftlich unbedingte Jugend wird nur durch das Problematische gefesselt: und Aschenbach war problematisch, war unbedingt gewesen wie nur irgendein Jüngling. Er hatte dem Geiste gefr?nt, mit der Erkenntnis Raubbau getrieben, Saatfrucht vermahlen, Geheimnisse preisgegeben, das Talent verd?chtigt, die Kunst verraten,--ja, w?hrend seine Bildwerke die gl?ubig Genie?enden unterhielten, erhoben, belebten, hatte er, der jugendliche Künstler, die Zwanzigj?hrigen durch seine Zynismen über das fragwürdige Wesen der Kunst, des Künstlertums selbst in Atem gehalten.
Aber es scheint, da? gegen nichts ein edler und tüchtiger Geist sich rascher, sich gründlicher abstumpft als gegen den scharfen und bitteren Reiz der Erkenntnis; und gewi? ist, da? die schwermütig gewissenhafteste Gründlichkeit des Jünglings Seichtheit bedeutet im Vergleich mit dem tiefen Entschlusse des Meister gewordenen Mannes, das Wissen zu leugnen, es abzulehnen, erhobenen Hauptes darüber hinwegzusehen, sofern es den Willen, die Tat, das Gefühl und selbst die Leidenschaft im Geringsten zu l?hmen, zu entmutigen, zu entwürdigen geeignet ist. Wie w?re die berühmte Erz?hlung vom ?Elenden? wohl anders zu deuten denn als Ausbruch des Ekels gegen den unanst?ndigen Psychologismus der Zeit, verk?rpert in der Figur jenes weichen und albernen Halbschurken, der sich ein Schicksal erschleicht, indem er sein Weib, aus Ohnmacht, aus Lasterhaftigkeit, aus ethischer Velleit?t, in die Arme eines Unb?rtigen treibt und aus Tiefe Nichtswürdigkeiten begehen zu dürfen glaubt? Die Wucht des Wortes, mit welchem hier das Verworfene verworfen wurde, verkündete die Abkehr von allem moralischen Zweifelsinn, von jeder Sympathie mit dem Abgrund, die Absage an die Laxheit des Mitleidssatzes, da? alles verstehen alles verzeihen hei?e, und was sich hier vorbereitete, ja schon vollzog, war jenes ?Wunder der wiedergeborenen Unbefangenheit?, auf welches ein wenig sp?ter in einem der Dialoge des Autors ausdrücklich und nicht ohne geheimnisvolle Betonung die Rede kam. Seltsame Zusammenh?nge! War es eine geistige Folge dieser ?Wiedergeburt?, dieser neuen Würde und Strenge, da? man um dieselbe Zeit ein fast überm??iges Erstarken seines Sch?nheitssinnes beobachtete, jene adelige Reinheit, Einfachheit und Ebenm??igkeit der Formgebung, welche seinen Produkten fortan ein so sinnf?lliges, ja gewolltes Gepr?ge der Meisterlichkeit und Klassizit?t verlieh? Aber moralische Entschlossenheit jenseits des Wissens, der aufl?senden und hemmenden Erkenntnis,--bedeutet sie nicht wiederum eine Vereinfachung, eine sittliche Vereinf?ltigung der Welt und der Seele und also auch ein Erstarken zum B?sen, Verbotenen, zum sittlich Unm?glichen? Und hat Form nicht zweierlei Gesicht? Ist sie nicht sittlich und unsittlich zugleich,--sittlich als Ergebnis und Ausdruck der Zucht, unsittlich aber und selbst widersittlich, sofern sie von Natur eine moralische Gleichgültigkeit in sich schlie?t, ja, wesentlich bestrebt ist, das Moralische unter ihr stolzes und unumschr?nktes Szepter zu beugen?
Wie dem auch sei! Eine Entwicklung ist ein Schicksal; und wie sollte nicht diejenige anders verlaufen, die von der Teilnahme, dem Massenzutrauen einer weiten ?ffentlichkeit begleitet wird, als jene, die sich ohne den Glanz und die Verbindlichkeiten des Ruhmes vollzieht? Nur ewiges Zigeunertum findet es langweilig und ist zu spotten geneigt, wenn ein gro?es Talent dem libertinischen Puppenstande entw?chst, die Würde des Geistes ausdrucksvoll wahrzunehmen sich gew?hnt und die Hofsitten einer Einsamkeit annimmt, die voll unberatener, hart selbst?ndiger Leiden und K?mpfe war und es zu Macht und Ehren unter den Menschen brachte. Wieviel Spiel, Trotz, Genu? ist übrigens in der Selbstgestaltung des Talentes! Etwas Amtlich-Erzieherisches trat mit der Zeit in Gustav Aschenbachs Vorführungen ein, sein Stil entriet in sp?teren Jahren der unmittelbaren Kühnheiten, der subtilen und neuen Abschattungen, er wandelte sich ins Mustergültig-Feststehende, Geschliffen-Herk?mmliche, Erhaltende, Formelle, selbst Formelhafte, und wie die ?berlieferung es von Ludwig dem Vierzehnten wissen will, so verbannte der Alternde aus seiner Sprachweise jedes gemeine Wort: Damals geschah es, da? die Unterrichtsbeh?rde ausgew?hlte Seiten von ihm in die vorgeschriebenen Schullesebücher übernahm. Es war ihm innerlich gem??, und er lehnte nicht ab, als ein deutscher Fürst, soeben zum Throne gelangt, dem Dichter des ?Friedrich? zu seinem fünfzigsten Geburtstag den pers?nlichen Adel verlieh.
Nach einigen Jahren der Unruhe, einigen Versuchsaufenthalten da und dort w?hlte er frühzeitig München zum dauernden Wohnsitz und lebte dort in bürgerlichem Ehrenstande, wie er dem Geiste in besonderen Einzelf?llen zuteil wird. Die Ehe, die er in noch jugendlichem Alter mit einem M?dchen aus gelehrter Familie eingegangen, wurde nach kurzer Glücksfrist durch den Tod getrennt. Eine Tochter, schon Gattin, war ihm geblieben. Einen Sohn hatte er nie besessen.
Gustav von Aschenbach war ein wenig unter Mittelgr??e, brünett, rasiert. Sein Kopf erschien ein wenig zu gro? im Verh?ltnis zu der fast zierlichen Gestalt. Sein rückw?rts gebürstetes Haar, am Scheitel gelichtet, an den Schl?fen sehr voll und stark ergraut, umrahmte eine hohe, zerklüftete und gleichsam narbige Stirn. Der Bügel einer Goldbrille mit randlosen Gl?sern schnitt in die Wurzel der gedrungenen, edel gebogenen Nase ein. Der Mund war gro?, oft schlaff, oft pl?tzlich schmal und gespannt; die Wangenpartie mager und gefurcht, das wohlausgebildete Kinn weich gespalten. Bedeutende Schicksale schienen über dies meist leidend seitw?rts geneigte Haupt hinweggegangen zu sein, und doch war die Kunst es gewesen, die hier jene physiognomische Durchbildung übernommen hatte, welche sonst das Werk eines schweren, bewegten Lebens ist. Hinter dieser Stirn waren die blitzenden Repliken des Gespr?chs zwischen Voltaire und dem K?nige über den Krieg geboren; diese Augen, müde und tief durch die Gl?ser blickend, hatten das blutige Inferno der Lazarette des Siebenj?hrigen Krieges gesehen. Auch pers?nlich genommen ist ja die Kunst ein erh?htes Leben. Sie beglückt tiefer, sie verzehrt rascher. Sie gr?bt in das Antlitz ihres Dieners die Spuren imagin?rer und geistiger Abenteuer, und sie erzeugt, selbst bei kl?sterlicher Stille des ?u?eren Daseins, auf die Dauer eine Verw?hntheit, ?berfeinerung, Müdigkeit und Neugier der Nerven, wie ein Leben voll ausschweifendster Leidenschaften und Genüsse sie kaum hervorzubringen vermag.
Ebensoweit entfernt vom Banalen wie vom Exzentrischen, war sein Talent geschaffen, den Glauben des breiten Publikums und die bewundernde, fordernde Teilnahme der W?hlerischen zugleich zu gewinnen. So, schon als Jüngling von allen Seiten auf die Leistung--und zwar die au?erordentliche--verpflichtet, hatte er niemals den Mü?iggang, niemals die Fahrl?ssigkeit der Jugend gekannt. Als er um sein fünfunddrei?igstes Jahr in Wien erkrankte, ?u?erte ein feiner Beobachter über ihn in Gesellschaft: ?Sehen Sie, Aschenbach hat von jeher nur so gelebt?--und der Sprecher schlo? die Finger seiner Linken fest zur Faust--; ?niemals so?--und er lie? die ge?ffnete Hand bequem von der Lehne des Sessels h?ngen. Das traf zu; und das Tapfer-Sittliche daran war, da? seine Natur von nichts weniger als robuster Verfassung und zur st?ndigen Anspannung nur berufen, nicht eigentlich geboren war.
?rztliche Fürsorge hatte den Knaben vom Schulbesuch ausgeschlossen und auf h?uslichen Unterricht gedrungen. Einzeln, ohne Kameradschaft war er aufgewachsen und hatte doch zeitig erkennen müssen, da? er einem Geschlecht angeh?rte, in dem nicht das Talent, wohl aber die physische Basis eine Seltenheit war, deren das Talent zu seiner Erfüllung bedarf,--einem Geschlechte, das früh sein Bestes zu geben pflegt und in dem das K?nnen es selten zu Jahren bringt. Aber sein Lieblingswort war ?Durchhalten?,--er sah in seinem Friedrich-Roman nichts anderes als die Apotheose dieses Befehlswortes, das ihm als der Inbegriffleitend-t?tiger Tugend erschien. Auch wünschte er sehnlichst, alt zu werden, denn er hatte von jeher dafür gehalten, da? wahrhaft gro?, umfassend, ja wahrhaft ehrenwert nur das Künstlertum zu nennen sei, dem es beschieden war, auf allen Stufen des Menschlichen charakteristisch fruchtbar zu sein.
Da er also die Aufgaben, mit denen sein Talent ihn belud, auf zarten Schultern tragen und weit gehen wollte, so bedurfte er h?chlich der Zucht,--und Zucht war ja zum Glücke sein eingeborenes Erbteil von v?terlicher Seite. Mit vierzig, mit fünfzig Jahren wie schon in einem Alter, wo andere verschwenden, schw?rmen, die Ausführung gro?er Pl?ne getrost verschieben, begann er seinen Tag beizeiten mit Stürzen kalten Wassers über Brust und Rücken und brachte dann, ein Paar hoher Wachskerzen in silbernen Leuchtern zu H?upten des Manuskripts, die Kr?fte, die er im Schlaf gesammelt, in zwei oder drei inbrünstig gewissenhaften Morgenstunden der Kunst zum Opfer dar. Es war verzeihlich, ja, es bedeutete recht eigentlich den Sieg seiner Moralit?t, wenn Unkundige die Maja-Welt oder die epischen Massen, in denen sich Friedrichs Heldenleben entrollte, für das Erzeugnis gedrungener Kraft und eines langen Atems hielten, w?hrend sie vielmehr in kleinen Tagewerken aus hundert Einzelinspirationen zur Gr??e emporgeschichtet und nur darum so durchaus und an jedem Punkte vortrefflich waren, weil ihr Sch?pfer mit einer Willensdauer und Z?higkeit, derjenigen ?hnlich, die seine Heimatprovinz eroberte, jahrelang unter der Spannung eines und desselben Werkes ausgehalten und an die eigentliche Herstellung ausschlie?lich seine st?rksten und würdigsten Stunden gewandt hatte.
Damit ein bedeutendes Geistesprodukt auf der Stelle eine breite und tiefe Wirkung zu üben verm?ge, mu? eine tiefe Verwandtschaft, ja ?bereinstimmung zwischen dem pers?nlichen Schicksal seines Urhebers und dem allgemeinen des mitlebenden Geschlechtes bestehen. Die Menschen wissen nicht, warum sie einem Kunstwerk Ruhm bereiten. Weit entfernt von Kennerschaft, glauben sie hundert Vorzüge daran zu entdecken, um so viel Teilnahme zu rechtfertigen; aber der eigentliche Grund ihres Beifalls ist ein Unw?gbares, ist Sympathie. Aschenbach hatte es einmal an wenig sichtbarer Stelle unmittelbar ausgesprochen, da? beinahe alles Gro?e, was dastehe, als ein Trotzdem dastehe, trotz Kummer und Qual, Armut, Verlassenheit, K?rperschw?che, Laster, Leidenschaft und tausend Hemmnissen zustande gekommen sei. Aber das war mehr als eine Bemerkung, es war eine Erfahrung, war geradezu die Formel seines Lebens und Ruhmes, der Schlüssel zu seinem Werk; und was Wunder also, wenn es auch der sittliche Charakter, die ?u?ere Geb?rde seiner eigentümlichsten Figuren war?
?ber den neuen, in mannigfach individuellen Erscheinungen wiederkehrenden Heldentyp, den dieser Schriftsteller bevorzugte, hatte schon frühzeitig ein kluger Zergliederer geschrieben: da? er die Konzeption ?einer intellektuellen und jünglinghaften M?nnlichkeit? sei, ?die in stolzer Scham die Z?hne aufeinanderbei?t und ruhig dasteht, w?hrend ihr die Schwerter und Speere durch den Leib gehen?. Das war sch?n, geistreich und exakt, trotz seiner scheinbar allzu passivischen Pr?gung. Denn Haltung im Schicksal, Anmut in der Qual bedeutet nicht nur ein Dulden; sie ist eine aktive Leistung, ein positiver Triumph, und die Sebastian-Gestalt ist das sch?nste Sinnbild, wenn nicht der Kunst überhaupt, so doch gewi? der in Rede stehenden Kunst. Blickte man hinein in diese erz?hlte Welt, sah man die elegante Selbstbeherrschung, die bis zum letzten Augenblick eine innere Unterh?hlung, den biologischen Verfall vor den Augen der Welt verbirgt; die gelbe, sinnlich benachteiligte H??lichkeit, die es vermag, ihre schwelende Brunst zur reinen Flamme zu entfachen, ja, sich zur Herrschaft im Reiche der Sch?nheit aufzuschwingen; die bleiche Ohnmacht, welche aus den glühenden Tiefen des Geistes die Kraft holt, ein ganzes übermütiges Volk zu Fü?en des Kreuzes, zu _ihren_ Fü?en niederzuwerfen; die liebenswürdige Haltung im leeren und strengen Dienste der Form; das falsche, gef?hrliche Leben, die rasch entnervende Sehnsucht und Kunst des gebornen Betrügers: betrachtete man all dies Schicksal und wieviel gleichartiges noch, so konnte man zweifeln, ob es überhaupt einen anderen Heroismus g?be, als denjenigen der Schw?che. Welches Heldentum aber jedenfalls w?re zeitgem??er als dieses? Gustav Aschenbach war der Dichter all derer, die am Rande der Ersch?pfung arbeiten, der ?berbürdeten, schon Aufgeriebenen, sich noch Aufrechthaltenden, all dieser Moralisten der Leistung, die, schm?chtig von Wuchs und spr?de von Mitteln, durch Willensverzückung und kluge Verwaltung sich wenigstens eine Zeitlang die Wirkungen der Gr??e abgewinnen. Ihrer sind viele, sie sind die Helden des Zeitalters. Und sie alle erkannten sich wieder in seinem Werk, sie fanden sich best?tigt, erhoben, besungen darin, sie wu?ten ihm Dank, sie verkündeten seinen Namen.
Er war jung und roh gewesen mit der Zeit und, schlecht beraten von ihr, war er ?ffentlich gestrauchelt, hatte Mi?griffe getan, sich blo?gestellt, Verst??e gegen Takt und Besonnenheit begangen in Wort und Werk. Aber er hatte die Würde gewonnen, nach welcher, wie er behauptete, jedem gro?en Talente ein natürlicher Drang und Stachel eingeboren ist, ja, man kann sagen, da? seine ganze Entwicklung ein bewu?ter und trotziger, alle Hemmungen des Zweifels und der Ironie zurücklassender Aufstieg zur Würde gewesen war.
Lebendige, geistig unverbindliche Greifbarkeit der Gestaltung bildet das Erg?tzen der bürgerlichen Massen, aber leidenschaftlich unbedingte Jugend wird nur durch das Problematische gefesselt: und Aschenbach war problematisch, war unbedingt gewesen wie nur irgendein Jüngling. Er hatte dem Geiste gefr?nt, mit der Erkenntnis Raubbau getrieben, Saatfrucht vermahlen, Geheimnisse preisgegeben, das Talent verd?chtigt, die Kunst verraten,--ja, w?hrend seine Bildwerke die gl?ubig Genie?enden unterhielten, erhoben, belebten, hatte er, der jugendliche Künstler, die Zwanzigj?hrigen durch seine Zynismen über das fragwürdige Wesen der Kunst, des Künstlertums selbst in Atem gehalten.
Aber es scheint, da? gegen nichts ein edler und tüchtiger Geist sich rascher, sich gründlicher abstumpft als gegen den scharfen und bitteren Reiz der Erkenntnis; und gewi? ist, da? die schwermütig gewissenhafteste Gründlichkeit des Jünglings Seichtheit bedeutet im Vergleich mit dem tiefen Entschlusse des Meister gewordenen Mannes, das Wissen zu leugnen, es abzulehnen, erhobenen Hauptes darüber hinwegzusehen, sofern es den Willen, die Tat, das Gefühl und selbst die Leidenschaft im Geringsten zu l?hmen, zu entmutigen, zu entwürdigen geeignet ist. Wie w?re die berühmte Erz?hlung vom ?Elenden? wohl anders zu deuten denn als Ausbruch des Ekels gegen den unanst?ndigen Psychologismus der Zeit, verk?rpert in der Figur jenes weichen und albernen Halbschurken, der sich ein Schicksal erschleicht, indem er sein Weib, aus Ohnmacht, aus Lasterhaftigkeit, aus ethischer Velleit?t, in die Arme eines Unb?rtigen treibt und aus Tiefe Nichtswürdigkeiten begehen zu dürfen glaubt? Die Wucht des Wortes, mit welchem hier das Verworfene verworfen wurde, verkündete die Abkehr von allem moralischen Zweifelsinn, von jeder Sympathie mit dem Abgrund, die Absage an die Laxheit des Mitleidssatzes, da? alles verstehen alles verzeihen hei?e, und was sich hier vorbereitete, ja schon vollzog, war jenes ?Wunder der wiedergeborenen Unbefangenheit?, auf welches ein wenig sp?ter in einem der Dialoge des Autors ausdrücklich und nicht ohne geheimnisvolle Betonung die Rede kam. Seltsame Zusammenh?nge! War es eine geistige Folge dieser ?Wiedergeburt?, dieser neuen Würde und Strenge, da? man um dieselbe Zeit ein fast überm??iges Erstarken seines Sch?nheitssinnes beobachtete, jene adelige Reinheit, Einfachheit und Ebenm??igkeit der Formgebung, welche seinen Produkten fortan ein so sinnf?lliges, ja gewolltes Gepr?ge der Meisterlichkeit und Klassizit?t verlieh? Aber moralische Entschlossenheit jenseits des Wissens, der aufl?senden und hemmenden Erkenntnis,--bedeutet sie nicht wiederum eine Vereinfachung, eine sittliche Vereinf?ltigung der Welt und der Seele und also auch ein Erstarken zum B?sen, Verbotenen, zum sittlich Unm?glichen? Und hat Form nicht zweierlei Gesicht? Ist sie nicht sittlich und unsittlich zugleich,--sittlich als Ergebnis und Ausdruck der Zucht, unsittlich aber und selbst widersittlich, sofern sie von Natur eine moralische Gleichgültigkeit in sich schlie?t, ja, wesentlich bestrebt ist, das Moralische unter ihr stolzes und unumschr?nktes Szepter zu beugen?
Wie dem auch sei! Eine Entwicklung ist ein Schicksal; und wie sollte nicht diejenige anders verlaufen, die von der Teilnahme, dem Massenzutrauen einer weiten ?ffentlichkeit begleitet wird, als jene, die sich ohne den Glanz und die Verbindlichkeiten des Ruhmes vollzieht? Nur ewiges Zigeunertum findet es langweilig und ist zu spotten geneigt, wenn ein gro?es Talent dem libertinischen Puppenstande entw?chst, die Würde des Geistes ausdrucksvoll wahrzunehmen sich gew?hnt und die Hofsitten einer Einsamkeit annimmt, die voll unberatener, hart selbst?ndiger Leiden und K?mpfe war und es zu Macht und Ehren unter den Menschen brachte. Wieviel Spiel, Trotz, Genu? ist übrigens in der Selbstgestaltung des Talentes! Etwas Amtlich-Erzieherisches trat mit der Zeit in Gustav Aschenbachs Vorführungen ein, sein Stil entriet in sp?teren Jahren der unmittelbaren Kühnheiten, der subtilen und neuen Abschattungen, er wandelte sich ins Mustergültig-Feststehende, Geschliffen-Herk?mmliche, Erhaltende, Formelle, selbst Formelhafte, und wie die ?berlieferung es von Ludwig dem Vierzehnten wissen will, so verbannte der Alternde aus seiner Sprachweise jedes gemeine Wort: Damals geschah es, da? die Unterrichtsbeh?rde ausgew?hlte Seiten von ihm in die vorgeschriebenen Schullesebücher übernahm. Es war ihm innerlich gem??, und er lehnte nicht ab, als ein deutscher Fürst, soeben zum Throne gelangt, dem Dichter des ?Friedrich? zu seinem fünfzigsten Geburtstag den pers?nlichen Adel verlieh.
Nach einigen Jahren der Unruhe, einigen Versuchsaufenthalten da und dort w?hlte er frühzeitig München zum dauernden Wohnsitz und lebte dort in bürgerlichem Ehrenstande, wie er dem Geiste in besonderen Einzelf?llen zuteil wird. Die Ehe, die er in noch jugendlichem Alter mit einem M?dchen aus gelehrter Familie eingegangen, wurde nach kurzer Glücksfrist durch den Tod getrennt. Eine Tochter, schon Gattin, war ihm geblieben. Einen Sohn hatte er nie besessen.
Gustav von Aschenbach war ein wenig unter Mittelgr??e, brünett, rasiert. Sein Kopf erschien ein wenig zu gro? im Verh?ltnis zu der fast zierlichen Gestalt. Sein rückw?rts gebürstetes Haar, am Scheitel gelichtet, an den Schl?fen sehr voll und stark ergraut, umrahmte eine hohe, zerklüftete und gleichsam narbige Stirn. Der Bügel einer Goldbrille mit randlosen Gl?sern schnitt in die Wurzel der gedrungenen, edel gebogenen Nase ein. Der Mund war gro?, oft schlaff, oft pl?tzlich schmal und gespannt; die Wangenpartie mager und gefurcht, das wohlausgebildete Kinn weich gespalten. Bedeutende Schicksale schienen über dies meist leidend seitw?rts geneigte Haupt hinweggegangen zu sein, und doch war die Kunst es gewesen, die hier jene physiognomische Durchbildung übernommen hatte, welche sonst das Werk eines schweren, bewegten Lebens ist. Hinter dieser Stirn waren die blitzenden Repliken des Gespr?chs zwischen Voltaire und dem K?nige über den Krieg geboren; diese Augen, müde und tief durch die Gl?ser blickend, hatten das blutige Inferno der Lazarette des Siebenj?hrigen Krieges gesehen. Auch pers?nlich genommen ist ja die Kunst ein erh?htes Leben. Sie beglückt tiefer, sie verzehrt rascher. Sie gr?bt in das Antlitz ihres Dieners die Spuren imagin?rer und geistiger Abenteuer, und sie erzeugt, selbst bei kl?sterlicher Stille des ?u?eren Daseins, auf die Dauer eine Verw?hntheit, ?berfeinerung, Müdigkeit und Neugier der Nerven, wie ein Leben voll ausschweifendster Leidenschaften und Genüsse sie kaum hervorzubringen vermag.