Home>> Literature>> 言情>> Theodor Storm   Germany   德意志帝国   (September 14, 1817 ADJuly 4, 1888 AD)
Pole Poppenspäler
  《木偶戏子保罗》 (PoIe Poppenspieler,1874) 在题材上与《茵梦湖》雷同,也是一个爱情故事,但它的结局却不是感伤的而是幸福的。小说也采用了施托姆惯用的第一人称与倒叙手法。从艺术效果上看,第一人称的优点是使读者有亲切感,并有利于主人公抒发感情。
木偶戏子波勒-1
  Novelle (1874)
   Ich hatte in meiner Jugend einige Fertigkeit im Drechseln und besch?ftigte mich sogar wohl etwas mehr damit, als meinen gelehrten Studien zutr?glich war; wenigstens geschah es, da? mich eines Tags der Subrektor bei Rückgabe eines nicht eben fehlerlosen Exerzitiums seltsamerweise fragte, ob ich vielleicht wieder eine N?hschraube zu meiner Schwester Geburtstag gedrechselt h?tte. Solch kleine Nachteile wurden indessen mehr als aufgewogen durch die Bekanntschaft mit einem trefflichen Manne, die mir infolge jener Besch?ftigung zuteil wurde. Dieser Mann war der Kunstdrechsler und Mechanikus Paul Paulsen, auch deputierter Bürger unserer Stadt. Auf die Bitte meines Vaters, der für alles, was er michunternehmen sah, eine gewisse Gründlichkeit forderte, verstand er sich dazu, mir die für meine kleinen Arbeiten erforderlichen Handgriffe beizubringen.
   Paulsen besa? mannigfache Kenntnisse und war dabei nicht nur von anerkannter Tüchtigkeit in seinem eignen Handwerk, sondern er hatte auch eine Einsicht in die künftige Entwicklung der Gewerke überhaupt, so da? bei manchem, was jetzt als neue Wahrheit verkündigt wird, mir pl?tzlich einf?llt: das hat dein alter Paulsen ja schon vor vierzig Jahren gesagt. --Es gelang mir bald, seine Zuneigung zu erwerben, und er sah es gern, wenn ich noch au?er den festgesetzten Stunden am Feierabend einmal zu ihm kam. Dann sa?en wir entweder in der Werkst?tte oder sommers--denn unser Verkehr hat jahrelang gedauert--auf der Bank unter der gro?en Linde seines G?rtchens. In den Gespr?chen, die wir dabei führten, oder vielmehr, welche mein ?lterer Freund dabei mit mir führte, lernte ich Dinge kennen und auf Dinge meine Gedanken richten, von denen, so wichtig sie im Leben sind, ich sp?ter selbst in meinen Primaner-Schulbüchern keine Spur gefunden habe.
   Paulsen war seiner Abkunft nach ein Friese und der Charakter dieses Volksstammes aufs sch?nste in seinem Antlitz ausgepr?gt; unter dem schlichten blonden Haar die denkende Stirn und die blauen sinnenden Augen; dabei hatte, vom Vater ererbt, seine Stimme noch etwas von dem weichen Gesang seiner Heimatsprache.
   Die Frau dieses nordischen Mannes war braun und von zartem Gliederbau, ihre Sprache von unverkennbar süddeutschem Klange. Meine Mutter pflegte von ihr zu sagen, ihre schwarzen Augen k?nnten einen See ausbrennen, in ihrer Jugend aber sei sie von seltener Anmut gewesen.--Trotz der silbernen F?dchen, die schon ihr Haar durchzogen, war auch jetzt die Lieblichkeit dieser Züge noch nicht verschwunden, und das der Jugend angeborene Gefühl für Sch?nheit veranla?te mich bald, ihr, wo ich immer konnte, mit kleinen Diensten und Gef?lligkeiten an die Hand zu gehen.
   "Da schau mir nur das Buberl", sagte sie dann wohl zu ihrem Mann; "Wirst doch nit eifersüchtig werden, Paul?"
   Dann l?chelte Paul. Und aus ihren Scherzworten und aus seinem L?cheln sprach das Bewu?tsein innigsten Zusammengeh?rens.
   Sie hatten au?er einem Sohne, der damals in der Fremde war, keine Kinder, und vielleicht war ich den beiden zum Teil deshalb so willkommen, zumal Frau Paulsen mir wiederholt versicherte, ich habe grad ein so lustigs Naserl wie ihr Joseph. Nicht verschweigen will ich, da? letztere auch eine mir sehr zusagende, in unserer Stadt aber sonst g?nzlich unbekannte Mehlspeise zu bereiten verstand und auch nicht unterlie?, mich dann und wann zu Gast zu bitten.--So waren denn dort der Anziehungskr?fte für mich genug. Von meinem Vater aber wurde mein Verkehr in dem tüchtigen Bürgerhause gern gesehen. "Sorge nur, da? du nicht l?stig f?llst!" war das einzige, woran er in dieser Beziehung zuweilen mich erinnerte. Ich glaube indessen nicht, da? ich meinen Freunden je zu oft gekommen bin.
   Da geschah es eines Tages, da? in meinem elterlichen Hause einem alten Herrn aus unserer Stadt das neueste und wirklich ziemlich gelungene Werk meiner H?nde vorgezeigt wurde.
   Als dieser seine Bewunderung zu erkennen gab, bemerkte mein Vater dagegen, da? ich ja aber auch schon seit fast einem Jahr bei Meister Paulsen in der Lehre sei.
   "So, so", erwiderte der alte Herr; "bei Pole Poppensp?ler!"
   Ich hatte nie geh?rt, da? mein Freund einen solchen Beinamen führe, und fragte, vielleicht ein wenig naseweis, was das bedeuten solle.
   Aber der alte Herr l?chelte nur ganz hinterh?ltig und wollte keine weitere Auskunft geben.-Zum kommenden Sonntag war ich von den Paulsenschen Eheleuten auf den Abend eingeladen, um ihnen ihren Hochzeitstag feiern zu helfen. Es war im Sp?tsommer, und da ich mich frühzeitig auf den Weg gemacht und die Hausfrau noch in der Küche zu wirtschaften hatte, so ging Paulsen mit mir in den Garten, wo wir uns zusammen unter der gro?en Linde auf die Bank setzten. Mir war das "Pole Poppensp?ler" wieder eingefallen, und es ging mir so im Kopf herum, da? ich kaum auf seine Reden Antwort gab; endlich, da er mich fast ein wenig ernst wegen meiner Zerstreutheit zurechtgewiesen hatte, fragte ich ihn gradezu, was jener Beiname zu bedeuten habe.
   Er wurde sehr zornig. "Wer hat dich das dumme Wort gelehrt?" rief er, indem er von seinem Sitze aufsprang. Aber bevor ich noch zu antworten vermochte, sa? er schon wieder neben mir. "La?, la?!" sagte er, sich besinnend, "es bedeutet ja eigentlich das Beste, was das Leben mir gegeben hat.--Ich will es dir erz?hlen; wir haben wohl noch Zeit dazu."--
   In diesem Haus und Garten bin ich aufgewachsen, meine braven Eltern wohnten hier, und hoffentlich wird einst mein Sohn hier wohnen!--Da? ich ein Knabe war, ist nun schon lange her; aber gewisse Dinge aus jener Zeit stehen noch, wie mit farbigem Stift gezeichnet, vor meinen Augen.
   Neben unserer Haustür stand damals eine kleine wei?e Bank mit grünen St?ben in den Rück- und Seitenlehnen, von der man nach der einen Seite die lange Stra?e hinab bis an die Kirche, nach der andern aus der Stadt hinaus bis in die Felder sehen konnte. An Sommerabenden sa?en meine Eltern hier, der Ruhe nach der Arbeit pflegend; in den Stunden vorher aber pflegte ich sie in Beschlag zu nehmen und hier in der freien Luft und unter erquickendem Ausblick nach Ost und West meine Schularbeiten anzufertigen.
   So sa? ich auch eines Nachmittags--ich wei? noch gar wohl, es war im September, eben nach unserem Michaelis-Jahrmarkte--und schrieb für den Rechenmeister meine Algebra-Exempel auf die Tafel, als ich unten von der Stra?e ein seltsames Gef?hrt heraufkommen sah. Es war ein zweir?driger Karren, der von einem kleinen rauhen Pferde gezogen wurde. Zwischen zwei ziemlich hohen Kisten, mit denen er beladen war, sa? eine gro?e blonde Frau mit steifen h?lzernen Gesichtszügen und ein etwa neunj?hriges M?dchen, das sein schwarzhaariges K?pfchen lebhaft von einer Seite nach der andern drehte; nebenher ging, den Zügel in der Hand, ein kleiner, lustig blickender Mann, dem unter seiner grünen Schirmmütze die kurzen schwarzen Haare wie Spie?e vom Kopfe abstanden.
   So, unter dem Gebimmel eines Gl?ckchens, das unter dem Halse des Pferdes hing, kamen sie heran. Als sie die Stra?e vor unserem Hause erreicht hatten, machte der Karren halt. "Du Bub", rief die Frau zu mir herüber, "wo ist denn die Schneiderherberg?"
   Mein Griffel hatte schon lange geruht; nun sprang ich eilfertig auf und trat an den Wagen. "Ihr seid grad davor", sagte ich und wies auf das alte Haus mit der viereckig geschorenen Linde, das, wie du wei?t, noch jetzt hier gegenüber liegt.
   Das feine Dirnchen war zwischen den Kisten aufgestanden, streckte das K?pfchen aus der Kapuze ihres verschossenen M?ntelchens und sah mit ihren gro?en Augen auf mich herab; der Mann aber, mit einem "Sitz ruhig, Diendl!" und "Sch?nen Dank, Bub!" peitschte auf den kleinen Gaul und fuhr vor die Tür des bezeichneten Hauses, aus dem auch schon der dicke Herbergsvater in seiner grünen Schürze ihm entgegentrat.
   Da? die Ank?mmlinge nicht zu den zunftberechtigten G?sten des Hauses geh?rten, mu?te mir freilich klar sein; aber es pflegten dort--was mir jetzt, wenn ich es bedenke, mit der Reputation des wohlehrsamen Handwerks sich keineswegs reimen will--auch andere, mir viel angenehmere Leute einzukehren. Droben im zweiten Stock, wo noch heute statt der Fenster nur einfache Holzluken auf die Stra?e gehen, war das hergebrachte Quartier aller fahrenden Musikanten, Seilt?nzer oder Tierb?ndiger, welche in unserer Stadt ihre Kunst zum besten gaben.
   Und richtig, als ich am andern Morgen oben in meiner Kammer vor dem Fenster stand und meinen Schulsack schnürte, wurde drüben eine der Luken aufgesto?en; der kleine Mann mit den schwarzen Haarspie?en steckte seinen Kopf ins Freie und dehnte sich mit beiden Armen in die frische Luft hinaus; dann wandte er den Kopf hinter sich nach dem dunkeln Raum zurück, und ich h?rte ihn "Lisei! Lisei!" rufen.--Da dr?ngte sich unter seinem Arm ein rosiges Gesichtlein vor, um das wie eine M?hne das schwarze Haar herabfiel. Der Vater wies mit dem Finger nach mir herüber, lachte und zupfte sie ein paarmal an ihren seidenen Str?hnen. Was er zu ihr sprach, habe ich nicht verstehen k?nnen; aber es mag wohl ungef?hr gelautet haben. "Schau dir ihn an, Lisei! Kennst ihn noch, den Bubn von gestern?--Der arme Narr, da mu? er nun gleich mit dem Ranzen in die Schule traben!--Was du für ein glückliches Diendl bist, die du allweg nur mit unserem Braunen landab, landauf zu fahren brauchst!"--Wenigstens sah die Kleine ganz mitleidig zu mir herüber, und als ich es wagte, ihr freundlich zuzunicken, nickte sie sehr ernsthaft wieder.
   Bald aber zog der Vater seinen Kopf zurück und verschwand im Hintergrund seines Bodenraumes. Statt seiner trat jetzt die gro?e blonde Frau zu dem Kinde; sie bem?chtigte sich ihres Kopfes und begann ihr das Haar zu str?hlen. Das Gesch?ft schien schweigend vollzogen zu werden, und das Lisei durfte offenbar nicht mucksen, obgleich es mehrmals, wenn ihr der Kamm so in den Nacken hinabfuhr, die eckigsten Figuren mit ihrem roten M?ulchen bildete. Nur einmal hob sie den Arm und lie? ein langes Haar über die Linde drau?en in die Morgenluft hinausfliegen. Ich konnte von meinem Fenster aus es gl?nzen sehen; denn die Sonne war eben durch den Herbstnebel gedrungen und schien drüben auf den oberen Teil des Herbergshauses.
   Auch in den vorhin undurchdringlich dunkeln Bodenraum konnte ich jetzt hineinsehen. Ganz deutlich erblickte ich in einem d?mmerigen Winkel den Mann an einem Tische sitzen; in seiner Hand blinkte etwas wie Gold oder Silber; dann wieder war's wie ein Gesicht mit einer ungeheueren Nase; aber sosehr ich meine Augen anstrengte, ich vermochte nicht klug daraus zu werden.
   Pl?tzlich h?rte ich, als wenn etwas H?lzernes in einen Kasten geworfen würde, und nun stand der Mann auf und lehnte aus einer zweiten Luke sich wieder auf die Stra?e hinaus.
   Die Frau hatte indessen der kleinen schwarzen Dirne ein verschossenes rotes Kleidchen angezogen und ihr die Haarflechten wie einen Kranz um das runde K?pfchen gelegt.
   Ich sah noch immer hinüber. "Einmal" dachte ich, "k?nnte sie doch wieder nicken."--"Paul, Paul!" h?rte ich pl?tzlich unten aus unserem Hause die Stimme meiner Mutter rufen.
   "Ja, ja, Mutter!"
   Es war mir ordentlich wie ein Schrecken in die Glieder geschlagen.
   "Nun", rief sie wieder, "der Rechenmeister wird dir sch?n die Zeit verdeutschen! Wei?t du denn nicht, da? es lang schon sieben geschlagen hat?"
   Wie rasch polterte ich die Treppe hinunter!
   Aber ich hatte Glück; der Rechenmeister war grad dabei, seine Bergamotten abzunehmen, und die halbe Schule befand sich in seinem Garten, um mit H?nden und M?ulern ihm dabei zu helfen. Erst um neun Uhr sa?en wir alle mit hei?en Backen und lustigen Gesichtern an Tafel und Rechenbuch auf unseren B?nken.
   Als ich um elf, die Taschen noch von Birnen starrend, aus dem Schulhofe trat, kam eben der dicke Stadtausrufer die Stra?e herauf. Er schlug mit dem Schlüssel an sein blankes Messingbecken und rief mit seiner Bierstimme:
   "Der Mechanikus und Puppenspieler Herr Joseph Tendler aus der Residenzstadt München ist gestern hier angekommen und wird heute abend im Schützenhofsaale seine erste Vorstellung geben. Vorgestellt wird: Pfalzgraf Siegfried und die heilige Genoveva, Puppenspiel mit Gesang in vier Aufzügen."
   Dann r?usperte er sich und schritt würdevoll in der meinem Heimwege entgegengesetzten Richtung weiter. Ich folgte ihm von Stra?e zu Stra?e, um wieder und wieder die entzückende Verkündigung zu h?ren; denn niemals hatte ich eine Kom?die, geschweige denn ein Puppenspiel gesehen.--Als ich endlich umkehrte, sah ich ein rotes Kleidchen mir entgegenkommen; und wirklich, es war die kleine Puppenspielerin; trotz ihres verschossenen Anzugs schien sie mir von einem M?rchenglanz umgeben.
   Ich fa?te mir ein Herz und redete sie an: "Willst du spazierengehen, Lisei?"
   Sie sah mich mi?trauisch aus ihren schwarzen Augen an. "Spazieren?" wiederholte sie gedehnt. "Ach du--du bist g'scheit!"
   "Wohin willst du denn?"
   --"Zum Ellenkramer will i!"
   "Willst du dir ein neues Kleid kaufen?" fragte ich t?lpelhaft genug.
   Sie lachte laut auf. "Geh! la? mi aus!--Nein; nur so Fetz'ln!"
   "Fetz'ln, Lisei?"
   --"Freili! Halt nur so Resteln zu G'wandl für die Pupp'n; 's kost't immer nit viel!"
   Ein glücklicher Gedanke fuhr mir durch den Kopf. Ein alter Onkel von mir hatte damals am Markte hier eine Ellenwarenhandlung, und sein alter Ladendiener war mein guter Freund. "Komm mit mir", sagte ich kühn, "es soll dir gar nichts kosten, Lisei!"
   "Meinst?" fragte sie noch; dann liefen wir beide nach dem Markt und in das Haus des Onkels. Der alte Gabriel stand wie immer in seinem pfeffer- und salzfarbenen Rock hinter dem Ladentisch, und als ich ihm unser Anliegen deutlich gemacht hatte, kramte er gutmütig einen Haufen "Rester" auf den Tisch zusammen.
   "Schau, das hübsch Brinnrot!" sagte Lisei und nickte begehrlich nach einem Stückchen franz?sischen Kattuns hinüber.
   "Kannst es brauchen?" fragte Gabriel.--Ob sie es brauchen konnte! Der Ritter Siegfried sollte ja auf den Abend noch eine neue Weste geschneidert bekommen.
   "Aber da geh?ren auch die Tressen noch dazu", sagte der Alte und brachte allerlei Endchen Gold- und Silberflitter. Bald kamen noch grüne und gelbe Seidenl?ppchen und B?nder, endlich ein ziemlich gro?es Stück braunen Plüsches. "Nimm's nur, Kind!" sagte Gabriel. "Das gibt ein Tierfell für euere Genoveva, wenn das alte vielleicht verschossen w?re!" Dann packte er die ganze Herrlichkeit zusammen und legte sie der Kleinen in den Arm.
   "Und es kost't nix?" fragte sie beklommen.
   Nein, es kostete nichts. Ihre Augen leuchteten. "Sch?n' Dank, guter Mann! Ach, wird der Vater schauen!"
   Hand in Hand, Lisei mit ihrem P?ckchen unter dem Arm, verlie?en wir den Laden; als wir aber in die N?he unserer Wohnung kamen, lie? sie mich los und rannte über die Stra?e nach der Schneiderherberge, da? ihr die schwarzen Flechten in den Nacken flogen.--Nach dem Mittagessen stand ich vor unserer Haustür und erwog unter Herzklopfen das Wagnis, schon heute zur ersten Vorstellung meinen Vater um das Eintrittsgeld anzugehen; ich war ja mit der Galerie zufrieden, und sie sollte für uns Jungens nur einen Doppeltschilling kosten. Da, bevor ich's noch bei mir ins reine gebracht hatte, kam das Lisei über die Stra?e zu mir hergeflogen. "Der Vater schickt's!" sagte sie, und eh ich mich's versah, war sie wieder fort; aber in meiner Hand hielt ich eine rote Karte, darauf stand mit gro?en Buchstaben: Erster Platz.
   Als ich aufblickte, winkte auch von drüben der kleine schwarze Mann mit beiden Armen aus der Bodenluke zu mir herüber. Ich nickte ihm zu; was mu?ten das für nette Leute sein, diese Puppenspieler! "Also heute abend", sagte ich zu mir selber, "heute abend und--Erster Platz!"
   Du kennst unsern Schützenhof in der Süderstra?e; auf der Haustür sah man damals noch einen sch?n gemalten Schützen in Lebensgr??e, mit Federhut und Büchse; im übrigen war aber der alte Kasten damals noch bauf?lliger, als er heute ist. Die Gesellschaft war bis auf drei Mitglieder herabgesunken; die vor Jahrhunderten von den alten Landesherz?gen geschenkten silbernen Pokale, Pulverh?rner und Ehrenketten waren nach und nach verschleudert; den gro?en Garten, der, wie du wei?t, auf den Bürgersteig hinausl?uft, hatte man zur Schaf- und Ziegengr?sung verpachtet. Das alte zweist?ckige Haus wurde von niemandem weder bewohnt noch gebraucht; windrissig und verfallen stand es da zwischen den munteren Nachbarh?usern; nur in dem ?den wei?gekalkten Saale, der fast das ganze obere Stockwerk einnahm, produzierten mitunter starke M?nner oder durchreisende Taschenspieler ihre Künste. Dann wurde unten die gro?e Haustür mit dem gemalten Schützenbruder knarrend aufgeschlossen. --Langsam war es Abend geworden; und--das Ende trug die Last, denn mein Vater wollte mich erst fünf Minuten vor dem angesetzten Glockenschlage laufen lassen; er meinte, eine ?bung in der Geduld sei sehr vonn?ten, damit ich im Theater stillesitze.
   Endlich war ich an Ort und Stelle. Die gro?e Tür stand offen, und allerlei Leute wanderten hinein; denn derzeit ging man noch gern zu solchen Vergnügungen; nach Hamburg war eine weite Reise, und nur wenige hatten sich die kleinen Dinge zu Hause durch die dort zu schauenden Herrlichkeiten leid machen k?nnen.--Als ich die eichene Wendeltreppe hinaufgestiegen war, fand ich Liseis Mutter am Eingange des Saales an der Kasse sitzen. Ich n?herte mich ihr ganz vertraulich und dachte, sie würde mich so recht als einen alten Bekannten begrü?en; aber sie sa? stumm und starr und nahm mir meine Karte ab, als wenn ich nicht die geringste Beziehung zu ihrer Familie h?tte.--Etwas gedemütigt trat ich in den Saal; der kommenden Dinge harrend, plauderte alles mit halber Stimme durcheinander; dazu fiedelte unser Stadtmusikus mit drei seiner Gesellen. Das erste, worauf meine Augen fielen, war in der Tiefe des Saales ein roter Vorhang oberhalb der Musikantenpl?tze. Die Malerei in der Mitte desselben stellte zwei lange Trompeten vor, die kreuzweise über einer goldenen Leier lagen; und, was mir damals sehr sonderbar erschien, an dem Mundstück einer jeden hing, wie mit den leeren Augen daraufgeschoben, hier eine finster, dort eine lachend ausgepr?gte Maske.--Die drei vordersten Pl?tze waren schon besetzt; ich dr?ngte mich in die vierte Bank, wo ich einen Schulkameraden bemerkt hatte, der dort neben seinen Eltern sa?. Hinter uns bauten sich die Pl?tze schr?g ansteigend in die H?he, so da? der letzte, die sogenannte Galerie, welche nur zum Stehen war, sich fast mannshoch über dem Fu?boden befinden mochte. Auch dort schien es wohlgefüllt zu sein; genau vermochte ich es nicht zu sehen, denn die wenigen Talglichter, welche in Blechlampetten an den beiden Seitenw?nden brannten, verbreiteten nur eine schwache Helligkeit; auch dunkelte die schwere Balkendecke des Saales. Mein Nachbar wollte mir eine Schulgeschichte erz?hlen; ich begriff nicht, wie er an so etwas denken konnte, ich schaute nur auf den Vorhang, der von den Lampen des Podiums und der Musikantenpulte feierlich beleuchtet war. Und jetzt ging ein Wehen über seine Fl?che, die geheimnisvolle Welt hinter ihm begann sich schon zu regen; noch einen Augenblick, da erscholl das L?uten eines Gl?ckchens, und w?hrend unter den Zuschauern das summende Geplauder wie mit einem Schlage verstummte, flog der Vorhang in die H?he.--Ein Blick auf die Bühne versetzte mich um tausend Jahre rückw?rts. Ich sah in einen mittelalterlichen Burghof mit Turm und Zugbrücke; zwei kleine ellenlange Leute standen in der Mitte und redeten lebhaft miteinander. Der eine mit dem schwarzen Barte, dem silbernen Federhelm und dem goldgestickten Mantel über dem roten Unterkleide war der Pfalzgraf Siegfried; er wollte gegen die heidnischen Mohren in den Krieg reiten und befahl seinem jungen Hausmeister Golo, der in blauem silbergesticktem Wamse neben ihm stand, zum Schutze der Pfalzgr?fin Genoveva in der Burg zurückzubleiben. Der treulose Golo aber tat gewaltig wild, da? er seinen guten Herrn so allein in das grimme Schwerterspiel sollte reiten lassen. Sie drehten bei diesen Wechselreden die K?pfe hin und her und fochten heftig und ruckweise mit den Armen.--Da t?nten kleine langgezogene Trompetent?ne von drau?en hinter der Zugbrücke, und zugleich kam auch die sch?ne Genoveva in himmelblauem Schleppkleide hinter dem Turm hervorgestürzt und schlug beide Arme über des Gemahls Schultern: "Oh, mein herzallerliebster Siegfried, wenn dich die grausamen Heiden nur nicht massakrieren!" Aber es half ihr nichts; noch einmal ert?nten die Trompeten, und der Graf schritt steif und würdevoll über die Zugbrücke aus dem Hofe; man h?rte deutlich drau?en den Abzug des gewappneten Trupps. Der b?se Golo war jetzt Herr der Burg.-Und nun spielte das Stück sich weiter, wie es in deinem Lesebuch gedruckt steht.--Ich war auf meiner Bank ganz wie verzaubert; diese seltsamen Bewegungen, diese feinen oder schnurrenden Puppenstimmchen, die denn doch wirklich aus ihrem Munde kamen--es war ein unheimliches Leben in diesen kleinen Figuren, das gleichwohl meine Augen wie magnetisch auf sich zog.
木偶戏子波勒-2
  Im zweiten Aufzuge aber sollte es noch besser kommen.--Da war unter den Dienern auf der Burg einer im gelben Nankinganzug, der hie? Kasperl. Wenn dieser Bursche nicht lebendig war, so war noch niemals etwas lebendig gewesen; er machte die ungeheuersten Witze, so da? der ganze Saal vor Lachen bebte; in seiner Nase, die so gro? wie eine Wurst war, mu?te er jedenfalls ein Gelenk haben; denn wenn er so sein dumm-pfiffiges Lachen herausschüttelte, so schlenkerte der Nasenzipfel hin und her, als wenn auch er sich vor Lustigkeit nicht zu lassen wü?te; dabei ri? der Kerl seinen gro?en Mund auf und knackte, wie eine alte Eule, mit den Kinnbacksknochen. "Pardauz!" schrie es; so kam er immer auf die Bühne gesprungen; dann stellte er sich hin und sprach erst blo? mit seinem gro?en Daumen; den konnte er so ausdrucksvoll hin und wider drehen, da? es ordentlich ging wie "Hier nix und da nix! Kriegst du nix, so hast du nix!" Und dann sein Schielen;--das war so verführerisch, da? im Augenblick dem ganzen Publikum die Augen verquer im Kopfe standen. Ich war ganz vernarrt in den lieben Kerl!
   Endlich war das Spiel zu Ende, und ich sa? wieder zu Hause in unserer Wohnstube und verzehrte schweigend das Aufgebratene, das meine gute Mutter mir warm gestellt hatte. Mein Vater sa? im Lehnstuhl und rauchte seine Abendpfeife. "Nun, Junge", rief er, "waren sie lebendig?"
   "Ich wei? nicht, Vater", sagte ich und arbeitete weiter in meiner Schüssel; mir war noch ganz verwirrt zu Sinne.
   Er sah mir eine Weile mit seinem klugen L?cheln zu. "H?re, Paul", sagte er dann, "du darfst nicht zu oft in diesen Puppenkasten; die Dinger k?nnten dir am Ende in die Schule nachlaufen."
   Mein Vater hatte nicht unrecht. Die Algebraaufgaben gerieten mir in den beiden n?chsten Tagen so m??ig, da? der Rechenmeister mich von meinem ersten Platz herabzusetzen drohte.--Wenn ich in meinem Kopfe rechnen wollte: "a + b gleich x = c", so h?rte ich statt dessen vor meinen Ohren die feine Vogelstimme der sch?nen Genoveva: "Ach, mein herzallerliebster Siegfried, wenn dich die b?sen Heiden nur nicht massakrieren!" Einmal--aber es hat niemand gesehen--schrieb ich sogar "x + Genoveva" auf die Tafel.--Des Nachts in meiner Schlafkammer rief es einmal ganz laut "Pardauz", und mit einem Satz kam der liebe Kasperl in seinem Nankinganzug zu mir ins Bett gesprungen, stemmte seine Arme zu beiden Seiten meines Kopfes in das Kissen und rief, grinsend auf mich herabnickend: "Ach, du liebs Brüderl! Ach, du hertausig liebs Brüderl!" Dabei hackte er mir mit seiner langen roten Nase in die meine, da? ich davon erwachte. Da sah ich denn freilich, da? es nur ein Traum gewesen war.
   Ich verschlo? das alles in meinem Herzen und wagte zu Hause kaum den Mund aufzutun von der Puppenkom?die. Als aber am n?chsten Sonntag der Ausrufer wieder durch die Stra?en ging, an sein Becken schlug und laut verkündigte: "Heute abend auf dem Schützenhof: Doktor Fausts H?llenfahrt, Puppenspiel in vier Aufzügen!"--da war es doch nicht l?nger auszuhalten. Wie die Katze um den hei?en Brei, so schlich ich um meinen Vater herum, und endlich hatte er meinen stummen Blick verstanden.--"Pole", sagte er, "es k?nnte dir ein Tropfen Blut vom Herzen gehen; vielleicht ist's die beste Kur, dich einmal gründlich satt zu machen." Damit langte er in die Westentasche und gab mir einen Doppeltschilling.
   Ich rannte sofort aus dem Hause; erst auf der Stra?e wurde es mir klar, da? ja noch acht lange Stunden bis zum Anfang der Kom?die abzuleben waren. So lief ich denn hinter den G?rten auf den Bürgersteig. Als ich an den offenen Grasgarten des Schützenhofs gekommen war, zog es mich unwillkürlich hinein; vielleicht, da? gar einige Puppen dort oben aus den Fenstern guckten; denn die Bühne lag ja an der Rückseite des Hauses. Aber ich mu?te dann erst durch den oberen Teil des Gartens, der mit Linden- und Kastanienb?umen dicht bestanden war. Mir wurde etwas zag zumute; ich wagte doch nicht weiter vorzudringen. Pl?tzlich erhielt ich von einem gro?en, hier angepflockten Ziegenbock einen Sto? in den Rücken, da? ich um zwanzig Schritte weiter flog. Das half; als ich mich umsah, stand ich schon unter den B?umen.
   Es war ein trüber Herbsttag; einzelne gelbe Bl?tter sanken schon zur Erde; über mir in der Luft schrien ein paar Strandv?gel, die ans Haff hinausflogen; kein Mensch war zu sehen noch zu h?ren. Langsam schritt ich durch das Unkraut, das auf den Steigen wucherte, bis ich einen schmalen Steinhof erreicht hatte, der den Garten von dem Hause trennte.--Richtig! Dort von oben schauten zwei gro?e Fenster in den Hof herab; aber hinter den kleinen in Blei gefa?ten Scheiben war es schwarz und leer, keine Puppe war zu sehen. Ich stand eine Weile, mir wurde ganz unheimlich in der mich rings umgebenden Stille.
   Da sah ich, wie unten die schwere Hoftür von innen eine Handbreit ge?ffnet wurde, und zugleich lugte auch ein schwarzes K?pfchen daraus hervor.
   "Lisei!" rief ich.
   Sie sah mich gro? mit ihren dunklen Augen an. "B'hüt Gott!" sagte sie, "hab i doch nit gewu?t, was da au?a rumkraxln t?t! Wo kommst denn du daher?"
   "Ich?--Ich geh spazieren, Lisei!--Aber sag mir, spielt ihr denn schon jetzt Kom?die?"
   Sie schüttelte lachend den Kopf.
   "Aber, was machst du denn hier?" fragte ich weiter, indem ich über den Steinhof zu ihr trat.
   "I wart auf den Vater", sagte sie, "er ist ins Quartier, um Band und Nagel zu holen, er macht's halt firti für heut abend."
   "Bist du denn ganz allein hier, Lisei?"
   --"O nei; du bist ja aa no da!"
   "Ich meine", sagte ich, "ob nicht deine Mutter oben auf dem Saal ist?"
   Nein, die Mutter sa? in der Herberge und besserte die Puppenkleider aus; das Lisei war hier ganz allein.
   "H?r", begann ich wieder, "du k?nntest mir einen Gefallen tun; es ist unter eueren Puppen einer, der hei?t Kasperl; den m?cht ich gar zu gern einmal in der N?he sehen."
   "Den Wurstl meinst?" sagte Lisei und schien sich eine Weile zu bedenken. "Nu, es ging scho; aber g'schwind mu?t sein, eh denn der Vater wieder da ist!"
   Mit diesen Worten waren wir schon ins Haus getreten und liefen eilig die steile Wendeltreppe hinauf.--Es war fast dunkel in dem gro?en Saale; denn die Fenster, welche s?mtlich nach dem Hofe hinaus lagen, waren von der Bühne verdeckt; nur einzelne Lichtstreifen fielen durch die Spalten des Vorhangs.
   "Komm!" sagte Lisei und hob seitw?rts an der Wand die dort aus einem Teppich bestehende Verkleidung in die H?he; wir schlüpften hindurch, und da stand ich in dem Wundertempel.--Aber von der Rückseite betrachtet und hier in der Tageshelle sah er ziemlich kl?glich aus; ein Gerüst aus Latten und Brettern, worüber einige buntbekleckste Leinwandstücke hingen; das war der Schauplatz, auf welchem das Leben der heiligen Genoveva so t?uschend an mir vorübergegangen war.
   Doch ich hatte mich zu früh beklagt; dort, an einem Eisendrahte, der von einer Kulisse nach der Wand hinübergespannt war, sah ich zwei der wunderbaren Puppen schweben; aber sie hingen mit dem Rücken gegen mich, so da? ich sie nicht erkennen konnte.
   "Wo sind die andern, Lisei?" fragte ich; denn ich h?tte gern die ganze Gesellschaft auf einmal mir besehen.
   "Hier im Kast'l", sagte Lisei und klopfte mit ihrer kleinen Faust auf eine im Winkel stehende Kiste; "die zwei da sind schon zug'richt; aber geh nur her dazu und schau's dir a; er is scho dabei, dei Freund, der Kasperl!"
   Und wirklich, er war es selber. "Spielt denn der heute abend auch wieder mit?" fragte ich.
   "Freili, der is allimal dabei!"
   Mit untergeschlagenen Armen stand ich und betrachtete meinen lieben lustigen Allerweltskerl. Da baumelte er, an sieben Schnüren aufgeh?ngt; sein Kopf war vornübergesunken, da? seine gro?en Augen auf den Fu?boden stierten und ihm die rote Nase wie ein breiter Schnabel auf der Brust lag. "Kasperle, Kasperle", sagte ich bei mir selber, "Wie h?ngst du da elendiglich." Da antwortete es ebenso: "Wart nur, liebs Brüderl, wart nur bis heut abend!"--War das auch nur so in meinen Gedanken, oder hatte Kasperl selbst zu mir gesprochen?-Ich sah mich um. Das Lisei war fort; sie war wohl vor die Haustür, um die Rückkehr ihres Vaters zu überwachen. --Da h?rte ich sie eben noch von dem Ausgang des Saales rufen: "Da? d' mir aber nit an die Puppen rührst!"--Ja--nun konnte ich es aber doch nicht lassen. Leise stieg ich auf eine neben mir stehende Bank und begann erst an der einen, dann an der andern Schnur zu ziehen; die Kinnladen fingen an zu klappen, die Arme hoben sich, und jetzt fing auch der wunderbare Daumen an, ruckweise hin und her zu schie?en. Die Sache machte gar keine Schwierigkeit; ich hatte mir die Puppenspielerei doch kaum so leicht gedacht.--Aber die Arme bewegten sich nur nach vorn und hinten aus; und es war doch gewi?, da? Kasperle sie in dem neulichen Stück auch seitw?rts ausgestreckt, ja, da? er sie sogar über dem Kopf zusammengeschlagen hatte! Ich zog an allen Dr?hten, ich versuchte mit der Hand die Arme abzubiegen; aber es wollte nicht gelingen. Auf einmal tat es einen leisen Krach im Innern der Figur. "Halt!" dachte ich, "Hand vom Brett! Da h?ttst du k?nnen Unheil anrichten!"
   Leise stieg ich wieder von meiner Bank herab, und zugleich h?rte ich auch Lisei von au?en in den Saal treten.
   "G'schwind, g'schwind!" rief sie und zog mich durch das Dunkel an die Wendeltreppe hinaus; "'s is eigentli nit recht", fuhr sie fort, "da? i di eilass'n hab; aber, gel, du hast doch dei Gaudi g'habt!"
   Ich dachte an den leisen Krach von vorhin. "Ach, es wird ja nichts gewesen sein!" Mit dieser Selbsttr?stung lief ich die Treppe hinab und durch die Hintertür ins Freie.
   Soviel stand fest, der Kaspar war doch nur eine richtige Holzpuppe; aber das Lisei--was das für eine allerliebste Sprache führte! und wie freundlich sie mich gleich zu den Puppen mit hinaufgenommen hatte! --Freilich, und sie hatte es ja auch selbst gesagt, da? sie es so heimlich vor ihrem Vater getan, das war nicht v?llig in der Ordnung. Unlieb--zu meiner Schande mu? ich's gestehen--war diese Heimlichkeit mir grade nicht; im Gegenteil, die Sache bekam für mich dadurch noch einen würzigen Beigeschmack, und es mu? ein recht selbstgef?lliges L?cheln auf meinem Gesicht gestanden haben, als ich durch die Linden- und Kastanienb?ume des Gartens wieder nach dem Bürgersteig hinabschlenderte.
   Allein zwischen solchen schmeichelnden Gedanken h?rte ich von Zeit zu Zeit vor meinem inneren Ohre immer jenen leisen Krach im K?rper der Puppe; was ich auch vornahm, den ganzen Tag über konnte ich diesen jetzt aus meiner eigenen Seele herauft?nenden unbequemen Laut nicht zum Schweigen bringen.
   Es hatte sieben Uhr geschlagen; im Schützenhofe war heute, am Sonntagabend, alles besetzt; ich stand diesmal hinten, fünf Schuh hoch über dem Fu?boden, auf dem Doppeltschillingsplatze. Die Talglichter brannten in den Blechlampetten, der Stadtmusikus und seine Gesellen fiedelten; der Vorhang rollte in die H?he.
   Ein hochgew?lbtes gotisches Zimmer zeigte sich. Vor einem aufgeschlagenen Folianten sa? im langen schwarzen Talar der Doktor Faust und klagte bitter, da? ihm all seine Gelehrsamkeit so wenig einbringe; keinen heilen Rock habe er mehr am Leibe, und vor Schulden wisse er sich nicht zu lassen; so wolle er denn jetzo mit der H?lle sich verbinden.--"Wer ruft nach mir?" ert?nte zu seiner Linken eine furchtbare Stimme von der W?lbung des Gemaches herab.--"Faust, Faust, folge nicht!" kam eine andere, feine Stimme von der Rechten.--Aber Faust verschwor sich den h?llischen Gewalten. --"Weh, weh deiner armen Seele!" Wie ein seufzender Windeshauch klang es von der Stimme des Engels; von der Linken schallte eine gellende Lache durchs Gemach.--Da klopfte es an die Tür. "Verzeihung, Euere Magnifizenz?" Fausts Famulus Wagner war eingetreten. Er bat, ihm für die grobe Hausarbeit die Annahme eines Gehülfen zu gestatten, damit er sich besser aufs Studieren legen k?nne. "Es hat sich", sagte er, "ein junger Mann bei mir gemeldet, welcher Kasperl hei?t und gar fürtreffliche Qualit?ten zu besitzen scheint." Faust nickte gn?dig mit dem Kopfe und sagte. "Sehr wohl, lieber Wagner, diese Bitte sei Euch gew?hrt." Dann gingen beide miteinander fort.-"Pardauz!" rief es; und da war er. Mit einem Satz kam er auf die Bühne gesprungen, da? ihm das Felleisen auf dem Buckel hüpfte.--"Gott sei gelobt!" dachte ich; "er ist noch ganz gesund; er springt noch ebenso wie vorigen Sonntag in der Burg der sch?nen Genoveva!" Und seltsam, sosehr ich ihn am Vormittage in meinen Gedanken nur für eine schm?hliche Holzpuppe erkl?rt hatte, mit seinem ersten Worte war der ganze Zauber wieder da.
   Emsig spazierte er im Zimmer auf und ab. "Wenn mich jetzt mein Vater Papa sehen t?t", rief er, "der würd sich was Rechts freuen. Immer pflegt er zu sagen: "Kasperl, mach, da? du dein Sach in Schwung bringst!"--Oh, jetzund hab ich's in Schwung; denn ich kann mein Sach haushoch werfen!"--Damit machte er Miene, sein Felleisen in die H?he zu schleudern; und es flog auch wirklich, da es am Draht gezogen wurde, bis an die Deckenw?lbung hinauf; aber--Kasperls Arme waren an seinem Leibe klebengeblieben; es ruckte und ruckte, aber sie kamen um keine Handbreit in die H?he.
   Kasperl sprach und tat nichts weiter.--Hinter der Bühne entstand eine Unruhe, man h?rte leise, aber heftig sprechen, der Fortgang des Stückes war augenscheinlich unterbrochen.
   Mir stand das Herz still; da hatten wir die Bescherung! Ich w?re gern fortgelaufen, aber ich sch?mte mich. Und wenn gar dem Lisei meinetwegen etwas gesch?he!
   Da begann Kasperl auf der Bühne pl?tzlich ein kl?gliches Geheule, wobei ihm Kopf und Arme schlaff herunterhingen, und der Famulus Wagner erschien wieder und fragte ihn, warum er denn so lamentiere.
   "Ach, mei Zahnerl, mei Zahnerl!" schrie Kasperl.
   "Guter Freund", sagte Wagner, "so la? Er sich einmal in das Maul sehen! "--Als er ihn hierauf bei der gro?en Nase packte und ihm zwischen die Kinnladen hineinschaute, trat auch der Doktor Faust wieder in das Zimmer. --"Verzeihen Euere Magnifizenz", sagte Wagner, "ich werde diesen jungen Mann in meinem Dienst nicht gebrauchen k?nnen; er mu? sofort in das Lazarett geschafft werden!"
   "Is das a Wirtshaus?" fragte Kasperle.
   "Nein, guter Freund", erwiderte Wagner, "das ist ein Schlachthaus. Man wird Ihm dort einen Weisheitszahn aus der Haut schneiden, und dann wird er seiner Schmerzen ledig sein."
   "Ach, du liebs Hergottl", jammerte Kasperl, "mu? mi arms Viecherl so ein Unglück treffen! Ein Weisheitszahnerl, sagt Ihr, Herr Famulus? Das hat noch keiner in der Famili gehabt! Da geht's wohl auch mit meiner Kasperlschaft zu End?"
   "Allerdings, mein Freund", sagte Wagner; "eines Dieners mit Weisheitsz?hnen bin ich ba? entraten; die Dinger sind nur für uns gelehrte Leute. Aber Er hat ja noch einen Bruderssohn, der sich auch bei mir zum Dienst gemeldet hat. Vielleicht", und er wandte sich gegen den Doktor Faust, "erlauben Euere Magnifizenz!"
   Der Doktor Faust machte eine würdige Drehung mit dem Kopfe.
   "Tut, was Euch beliebt, mein lieber Wagner", sagte er; "aber st?rt mich nicht weiter mit Eueren Lappalien in meinem Studium der Magie!"--"Heere, mei Gutester", sagte ein Schneidergesell, der vor mir auf der Brüstung lehnte, zu seinem Nachbar, "das geheert ja nicht zum Stück, ich kenn's, ich hab es vor ? Weilchen erst in Seifersdorf gesehn."--Der andere aber sagte nur: "Halt's Maul, Leipziger!" und gab ihm einen Rippensto?.--Auf der Bühne war indessen Kasperle, der zweite, aufgetreten. Er hatte eine unverkennbare ?hnlichkeit mit seinem kranken Onkel, auch sprach er ganz genau wie dieser; nur fehlte ihm der bewegliche Daumen, und in seiner gro?en Nase schien er kein Gelenk zu haben.
   Mir war ein Stein vom Herzen gefallen, als das Stück nun ruhig weiterspielte, und bald hatte ich alles um mich her vergessen. Der teuflische Mephistopheles erschien in einem feuerfarbenen Mantel, das H?rnchen vor der Stirn, und Faust unterzeichnete mit seinem Blute den h?llischen Vertrag:
   "Vierundzwanzig Jahre sollst du mir dienen; dann will ich dein sein mit Leib und Seele."
   Hierauf fuhren beide in des Teufels Zaubermantel durch die Luft davon. Für Kasperle kam eine ungeheuere Kr?te mit Fledermausflügeln aus der Luft herab. "Auf dem h?llischen Sperling soll ich nach Parma reiten?" rief er, und als das Ding wackelnd mit dem Kopfe nickte, stieg er auf und flog den beiden nach.--Ich hatte mich ganz hinten an die Wand gestellt, wo ich besser über alle die K?pfe vor mir hinwegsehen konnte. Und jetzt rollte der Vorhang zum letzten Aufzug in die H?he.
   Endlich ist die Frist verstrichen. Faust und Kasper sind beide wieder in ihrer Vaterstadt. Kasper ist Nachtw?chter geworden; er geht durch die dunkeln Stra?en und ruft die Stunden ab:
   H?rt, ihr Herrn, und la?t euch sagen, Meine Frau hat mich geschlagen; Hüt't euch vor dem Weiberrock! Zw?lf ist der Klock! Zw?lf ist der Klock!
   Von fern h?rt man eine Glocke Mitternacht schlagen. Da wankt Faust auf die Bühne; er versucht zu beten, aber nur Heulen und Z?hneklappern t?nt aus seinem Halse. Von oben ruft eine Donnerstimme:
   Fauste, Fauste, in aeternum damnatus es!
   Eben fuhren im Feuerregen drei schwarzhaarige Teufel herab, um sich des Armen zu bem?chtigen, da fühlte ich eins der Bretter zu meinen Fü?en sich verschieben. Als ich mich bückte, um es zurechtzubringen, glaubte ich aus dem dunkeln Raume unter mir ein Ger?usch zu h?ren; ich horchte n?her hin; es klang wie das Schluchzen einer Kinderstimme.--"Lisei!" dachte ich "wenn es Lisei w?re!" Wie ein Stein fiel meine ganze Untat mir wieder aufs Gewissen; was kümmerte mich jetzt der Doktor Faust und seine H?llenfahrt!
   Unter heftigem Herzklopfen dr?ngte ich mich durch die Zuschauer und lie? mich seitw?rts an dem Brettergerüst herabgleiten. Rasch schlüpfte ich in den darunter befindlichen Raum, in welchem ich an der Wand entlang ganz aufrecht gehen konnte; aber es war fast dunkel, so da? ich mich an den überall untergestellten Latten und Balken stie?. "Lisei!" rief ich. Das Schluchzen, das ich eben noch geh?rt hatte, wurde pl?tzlich still; aber dort in dem tiefsten Winkel sah ich etwas sich bewegen. Ich tastete mich weiter bis an das Ende des Raumes, und--da sa? sie, zusammengekauert, das K?pfchen in den Scho? gedrückt.
   Ich zupfte sie am Kleide. "Lisei!" sagte ich leise, "bist du es? Was machst du hier?"
   Sie antwortete nicht, sondern begann wieder vor sich hin zu schluchzen.
   "Lisei", fragte ich wieder, "was fehlt dir? So sprich doch nur ein einziges Wort!"
   Sie hob den Kopf ein wenig. "Was soll i da red'n!" sagte sie, "Du wei?t's ja von selber, da? du den Wurstl hast verdreht."
   "Ja, Lisei", antwortete ich kleinlaut; "ich glaub es selber, da? ich das getan habe."
   --"Ja, du!--Und i hab dir's doch g'sagt!"
   "Lisei, was soll ich tun?"
   --"Nu, halt nix!"
   "Aber was soll denn daraus werden?"
   --"Nu, halt aa nix!" Sie begann wieder laut zu weinen. "Aber i--wenn i z'Haus komm--da krieg i die Peitsch'n!"
   "Du die Peitsche, Lisei!"--Ich fühlte mich ganz vernichtet. "Aber ist dein Vater denn so strenge?"
   "Ach, mei guts Vaterl!" schluchzte Lisei.
   Also die Mutter! Oh, wie ich, au?er mir selber, diese Frau ha?te, die immer mit ihrem Holzgesichte an der Kasse sa?!
   Von der Bühne h?rte ich Kasperl, den zweiten, rufen: "Das Stück ist aus! Komm, Gret'l, la? uns Kehraus tanzen!" Und in demselben Augenblick begann auch über unsern K?pfen das Scharren und Trappeln mit den Fü?en, und bald polterte alles von den B?nken herunter und dr?ngte sich dem Ausgange zu; zuletzt kam der Stadtmusikus mit seinen Gesellen, wie ich aus dem T?nen des Brummbasses h?rte, mit dem sie beim Fortgehen an den W?nden anstie?en. Dann allm?hlich wurde es still, nur hinten auf der Bühne h?rte man noch die Tendlerschen Eheleute miteinander reden und wirtschaften. Nach einer Weile kamen auch sie in den Zuschauerraum; sie schienen erst an den Musikantenpulten, dann an den W?nden die Lichter auszuputzen; denn es wurde allm?hlich immer finsterer.
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